Im Rahmen der Gelöbnis-Wallfahrt der Donauschwaben sprach Prof. Dr. Georg Wildmann aus Linz (Oberösterreich), Beirat der Donauschwäbischen Kulturstiftung, am 14. Juli 2013 in Altötting das Wort des Laien.
Hier seine vollständige Rede (Quelle: Mitteilungen der Landsmannschaft der Donauschwaben in Oberösterreich Nr. 2/2013, S.38/39):
Die Kirche feiert eine ganze Reihe von Marienfesten, größere und kleinere. Eines der kleineren gilt dem Gedenken an die Sieben Schmerzen Mariä (17. September). Die Kirche feiert aber auch das Fest der Sieben Freuden Mariä (5. Juli). Sieben Schmerzen – Sieben Freuden.
Prof. Dr. Georg Wildmann spricht in Altötting das Wort des Laien - Foto: Anton Ellmer
I. An einem Wallfahrtstag wie heute werden in meiner Erinnerung als Donauschwabe aus Jugoslawien sieben persönliche Schmerzen lebendig. Es sind Schmerzen der Erinnerungen an Menschen, mit denen ich verbunden war. Ihre Gesichter sind da.
Da ist Paul, der Präfekt meiner Gymnasialzeit, er ist in Arnheim als Soldat gefallen.1 Da ist mein Schulfreund und Internatsgenosse Matthias, ein Jahr älter als ich, er wurde von den Tito-Partisanen zusammen mit 211 Männern und Burschen in einer Nacht im November 1944 grausam ermordet.2 Da ist der Franzvetter, ein Bauer, der den kleinen Grundbesitz unserer Familie bearbeitete, er starb als Russland-Deportierter im Wald irgendwo im Donjetzbecken, in der Februarkälte 1945, ausgeschunden und ausgehungert.3 Da sind meine 74jährige Großmutter und mein zweijähriger Cousin. Sie verhungerten im Todeslager Gakowa.4 Da ist auch Maria, in der Familie meiner Eltern mehrere Jahre Dienstmädchen und sozusagen Begleiterin meiner Volksschulzeit. Sie kam in das Konzentrationslager Gakowa. Sie wollte mit ihrem Vater und ihrem kleinen Sohn Martin im Jänner 1946 heimlich nach Ungarn flüchten. Die Gruppe geriet in den schlimmsten Schneesturm des Winters (14.-16. Jänner 1946). Sie suchten nahe der Grenze in einem Kukuruzlaubschober Zuflucht. Maria wurde immer schwächer und starb im Laubschober an Erschöpfung neben ihrem verzweifelt betenden Vater. Der kleine Martin überlebte.5
Das sind die Gesichter, die jetzt um mich sind. Sie repräsentieren sämtliche fünf Arten des damaligen großen Sterbens: Da ist ein Opfer des Kampfes, ein Opfer des Terrors, ein Opfer der Zwangsdeportation, da sind zwei Opfer des KZs, da ist ein Opfer der Flucht. Fünf Schmerzen, die mir bewusst werden.
Der 6. Schmerz: der Verlust der Heimat, der Verfall des Elternhauses und das Verschwinden der Kirche, in der ich getauft wurde.
Der 7. Schmerz: Unsere langzeitliche Behandlung in der neuen Heimat als Opfer zweiter Klasse.
Liebe Landsleute, Ihr werdet in diesen Stunden wohl ebenfalls persönliche Schmerzen dieser Art auf den Altar Mariens, der Mutter der Sieben Schmerzen, legen.
II. Nun gibt es aber auch das Fest der Sieben Freuden Mariä. Mit Blick auf dieses Fest habe ich mich gefragt: Hat unser Leidensweg nicht auch etwas Freudvolles, etwas Erfreuliches in der Weltgeschichte gewirkt?
Was hat der Hl. Geist in den Herzen und im Verstand von Politikern, Völkerrechtlern, Denkern, Literaten - gerade im Blick auf unsere Leiden als Opfer des Weltkriegs und der Vertreibung - zur Vermenschlichung der Welt Erfreuliches gewirkt?
Donauschwäbische Pilgergruppe mit Priesterschaft am 14. Juli 2013 in Altötting - Foto: Anton Ellmer
Blickt man auf die knapp 70 Jahre seit Kriegsende zurück, so stechen sieben erfreuliche Entwicklungen besonders hervor:
Das erste Erfreuliche: Die UNO, die Weltgemeinschaft, hat schon einen Tag vor Erklärung der Menschenrechte im Dezember 1948 die Resolution zur Bestrafung und Vermeidung des Völkermords der Weltöffentlichkeit vorgelegt. Wir vom Donauschwäbischen Arbeitskreis, der unseren Leidensweg dokumentiert, sind der Überzeugung: Wenn man unser Schicksal an den Kriterien dieser Erklärung misst, dann kommt man zur Überzeugung, dass man an uns Donauschwaben aus Jugoslawien Völkermord verübt hat. Wir brauchen also keine Scheu zu haben, bei unserem Schicksal von Völkermord zu sprechen.6
Das zweite Erfreuliche: Die Vertreiberstaaten haben erkannt, dass man keine kollektive Strafe über eine Volksgruppe verfügen darf, weil es keine Kollektivschuld gibt. Es dämmerte die Erkenntnis: Es gibt in einer Volksgruppe keine totale Solidarität in der Schuld. In einem Volk gibt es völlig Unbeteiligte, Unpolitische, Gegner der Gruppenführung, da gibt es Kinder und Kleinkinder – all diese kann und darf man nicht schuldig sprechen und mit dem ganzen Kollektiv bestrafen – wie durch Enteignung, Vertreibung, Lagerinternierung. – Eine erfreuliche Erkenntnis!
Dritte Freude: Die Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat wurde international als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Selbst Historiker, die uns Donauschwaben nicht besonders mögen, haben anerkannt, dass nach heutigen Maßstäben der Staatschef Tito vor das Kriegsverbrechertribunal von den Haag gehört hätte.7 (Wie es Milošević und Karadžić passiert ist). Laut Statut (Art. 7) des Tribunals gelten Vertreibungen als Verbrechen gegen die Menschheit.
Vierte Freude: Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Schuld der Väter sich zwar nicht auf die Söhne vererbt, wohl aber die Verantwortung für die Folgen der Schuld, - aufgrund der natürlichen Solidarität eines Volkes. Man kann es auch konkreter sagen: Man hat als Nachkommengeneration jahrzehntelang von dem gezehrt, das Väter und Mütter einst geraubt haben. Wiedergutmachung der Folgen der Schuld der Vorgängergeneration: Das haben Deutschland und Österreich vorgelebt und Entschädigungen geleistet - Ungarn hat nachgezogen, Rumänien und Serbien haben Entschädigungsgesetze erlassen. Auch eine erfreuliche Entwicklung.
Fünfte Freude: Die Staaten, die Volksgruppen besitzen, erkennen zunehmend, dass ihr politisches Heil nicht in der ethnischen Säuberung, also in der Vertreibung, Vernichtung und der bewusst betriebenen Einschmelzung der kleineren Gruppen liegen kann, und auch zu Ende des II. Weltkriegs nicht hätte geschehen dürfen. Historiker weisen heute nach, dass nicht nur die Vertreiberstaaten, sondern auch die Großmächte selbst, die USA, Großbritannien und die Sowjetunion die ethnische Säuberung, d.h. die Vertreibung von Millionen Deutscher gewollt haben.8 Erfreulich, dass mehr Licht in die dunklen Ereignisse kommt!
Sechste Freude: Am Ende des Bosnienkrieges wurde erstmals vertraglich festgeschrieben, dass es ein Recht auf Rückkehr in die angestammte Heimat gibt. Das Heimatrecht dieser Art beginnt also Teil des geltenden Völkerrechts zu werden.
*Siebte Freude:+ Die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis 2012 bekommen. Wir Heimatvertriebenen dürfen dabei daran erinnern, dass wir das erste Friedensdokument nach dem Kriege im deutschsprachigen Raum verkündet haben, nämlich 1950 die Charta der Heimatvertriebenen, – und da steht: “Im Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen” … “Wir verzichten auf Rache und Vergeltung.” Wir Heimatvertriebenen deutscher Muttersprache haben in den vergangenen knapp 70 Jahren nie an eine gewaltsame Revanche gedacht. Und in der Charta steht auch: “Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist…” Damit war gesagt: Gehen wir den Weg der Verständigung, den Weg der Vergebung, den Weg der Versöhnung, den Weg der Freundschaft in einem neuen Europa – es war der visionäre Wunsch nach einer guten Zukunft!
Liebe Landsleute, wirft man den Blick auf die von mir geschilderten erfreulichen Entwicklungen, dann gewinnt man den Eindruck, dass unser Leidensweg nicht völlig sinnlos war. Er war auch ein aufrüttelndes Zeichen der Zeit. Da hat der Hl. Geist – dieser Funke göttlicher Vernunft – viele maßgebende Menschen erleuchtet, und mit seiner heilenden Kraft das moralische Weltbewusstsein gewandelt. Es wäre nur zu wünschen und zu beten, dass wir weltweit auch danach handeln würden.
Beten wir in dieser Stunde, dass auch in Zukunft maßgebende Menschen für das Wirken des Hl. Geistes so offen sind wie es Maria bei der Verkündigung des Engels war.
Und legen wir unsere Sieben Schmerzen und Sieben Freuden auf ihren Altar.
1 Paul Mesli/Franz Schreiber/Georg Wildmann: Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde, 6. Band: Kriegs- und Lageropfer, Wien 1985, S. 31. Siehe auch: Internet: www.filipowa.at, hier finden sich sämtliche acht Text-Bild-Bände zum Durchsehen.
2 Ebenda, Kapitel: Die Ereignisse des 25. November 1944 in Filipowa, S. 43-83, bes. S. 64.
3 Ebenda, S. 283.
4 Von den insgesamt 833 Lagertoten der 5.300 Einwohner zählenden Gemeine Filipowa gingen allein im Todeslager Gakowa zwischen April 1945 und Januar 1948 756 Personen zugrunde.
5 Arbeitskreis Dokumentation, Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien, Band III: Erschießungen – Vernichtungslager – Kinderschicksale, Verlag Donauschwäbische Kulturstiftung, München, erschienen München/Sindelfingen 1995, S. 374f.
6 Dieter Blumenwitz: Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948, Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung München, München 2002.
7 Vgl. Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.-20. Jahrhundert, Böhlau Verlag Wien Köln Weimar 2007 S. 335
8 Vgl. R.M. Douglas: “Ordnungsgemäße Überführung”. Die Vertreibung der Deutschen nach den Zweiten Weltkrieg, Verlag C.H Beck, 2012, Kapitel: Der Plan, S. 90-122.
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