Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Jugoslawien etwa 500.000 Menschen deutscher Abstammung. Was mit dieser Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1955 geschah, wurde bisher nur vereinzelt untersucht. Denn im kommunistischen Jugoslawien lautete die offizielle Sprachregelung, dass die Deutschen “verschwunden” seien – vor allem mit der zurückweichenden deutschen Wehrmacht. Jüngste Forschungen, die auf der Tagung vorgestellt wurden, konnten durch die Nutzung von bis dahin nicht zugänglichen Archivquellen ein detaillierteres Bild über Flucht, Vertreibung und Vernichtung der Deutschen in Jugoslawien zeichnen und dokumentierten ein differenzierteres Bild.
Viele Donauschwaben hatten die Wanderausstellung, “Daheim an der Donau. Zusammenleben von Deutschen und Serben in der Vojvodina” – die 2009/10 in Neusatz (Novi Sad), Ulm und Brüssel gezeigt wurde, kritisiert. Die Veranstalter dieser Ausstellung waren das Museum der Vojvodina in Neusatz (Novi Sad) und das Donauschwäbische Zentralmuseum (DZM) in Ulm – und diese Kritik führte dazu, dass vom 21. bis 23. März 2012 im österreichischen Bad Radkersburg (Steiermark) diese internationale Historikerkonferenz stattfand.
Die Veranstalter dieser Tagung waren: das Museum der Vojvodina, das Donauschwäbische Zentralmuseum, die Berliner Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, das Deutsche Historische Museum (Berlin), das Kroatische Institut für Geschichte (Zagreb) und das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung (Graz). Bekannte Historiker aus Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Österreich und Deutschland waren eingeladen, um den aktuellen Stand der Forschung zu präsentieren. Die Presse aus Graz und sogar ein Journalist der FAZ waren anwesend, Studenten eines Medienstudienganges besuchten ebenfalls einige Vorträge. Insgesamt waren 120 Teilnehmer anwesend.
Die verschiedenen Aspekte der Minderheitenpolitik sowie Mitwirkung, Vertreibung, Flucht und Deportation der deutschsprachigen Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien wurden diskutiert, um nach gemeinsamen Ansätzen für eine Bewertung zu suchen, denn es herrschen auf beiden Seiten noch Ressentiments, die aufgearbeitet werden müssen. Vor allem wehren sich die Donauschwaben gegen die Kriegsschuldargumentation der Kollektivschuld. Sie versuchen gegen diesen Vorwurf vorzugehen und dazu gehört, dass die Belgrader Archive schrankenlos geöffnet und zugänglich gemacht werden. Die Regelungen der europäischen Gemeinschaft besagen, dass Serbien als zukünftiges Mitglied der europäischen Gemeinschaft Zugang zu den Archiven nach europäischen Kriterien gewähren muss.
Diese Veranstaltung war in vier Sektionen aufgeteilt. An dieser Stelle soll nur ein Teil der Vorträge kurz skizziert werden. Am ersten Tag referierten Zoran Janjetovic (Belgrad) und Carl Bethke (Tübingen) über die deutschsprachigen Minderheiten und die Minderheitenpolitik in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Zoran Janjetovic informierte über die Maßnahmen der jugoslawischen Regierung gegenüber den nationalen Minderheiten während der Zwischenkriegszeit. Er betonte besonders, dass die Donauschwaben nach dem 1. Weltkrieg nur eine Minderheit von vielen waren. Alle Minderheiten waren von Restriktionen betroffen, obwohl Minderheitenverträge abgeschlossen worden waren. Das Referat von Carl Bethke lautete: Nationalisierung als “deutsche Minderheit” und Einstellung der Donauschwaben zum Nationalsozialismus. Die Donauschwaben waren keine Grenzlandminderheit, sondern sie waren zugewandert. Es gab verschiedene Donauschwaben – hier muss differenziert werden. Die Nachfahren von Auswanderern, die sich integriert, assimiliert haben. Der 1920 gegründete Schwäbisch-Deutsche Kulturbund machte die Donauschwaben zu einer Basis für das Deutsche Reich und gab ihnen eine eigene deutsche Identität. Der Kulturbund erhielt aus dem Reich Publikationen und Unterstützung. Nach 1933 fühlten sich vor allem junge Leute und Studenten vom Nationalismus angezogen. Dr. Bethke hob hervor, dass die Handelsbeziehungen zwischen Jugoslawien und dem Dritten Reich sehr intensiv waren. Erst 1938 übernahmen die sog. “Erneuerer” mit Unterstützung aus dem Dritten Reich die Führung im Kulturbund und dies nach langen inneren Auseinandersetzungen.
Am Abend wurden die Filme “Die Donauschwaben” von Marko Cvejic (mehr hierzu unter: Die gesammelten Meldungen zu Marko Cvejics Film “Die Donauschwaben”) und “Wege nach Mramorak. Chronik einer Vertreibung” von Thomas Dapper vorgeführt. Dappers Dokumentarfilm sucht nach Gründen der Internierungen, Vertreibung und Vernichtung in der Zeit von 1941- 1948. Anhand von Interviews erzählen Deutsche, Serben und Juden ihre Geschichte aus der Stadt Mramorak. Hier zeigt sich die Vielschichtigkeit der Geschichte Jugoslawiens. Ein besonderes “Ereignis” war das Interview und die Ansichten des ehemaligen Dolmetschers von Tito.
Der zweite Teil begann mit Thomas Casagrande, Frankfurt. Er referierte über die Funktion der volksdeutschen Waffen-SS-Division “Prinz Eugen” und die Partisanenbekämpfung in Jugoslawien von 1941- 1944. “Prinz Eugen” war die erste Division, die nicht an der Front, sondern ausschließlich in unmittelbarer Nähe der Herkunftsgebiete zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurde und außerdem wurde bei dieser Division das Freiwilligenprinzip aufgegeben. Die Division “Prinz Eugen” ermöglichte es vielen Volksdeutschen nicht an die Front zu müssen, jedoch setzte man sie in dem grausamen Guerillakrieg gegen Titos Partisanen ein. Gräueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung waren Teil der auf Vergeltung basierenden Bekämpfung der Partisanen. Casagrande betonte, dass es keine Kollektivschuld gibt und keine geben kann. Die Ereignisse müssen differenzierter betrachtet werden.
Dr Milan Koljanin aus Belgrad hielt einen Vortrag über den Holocaust und die Judenverfolgung in Serbien. Er berichtete über Zwangsarbeit, Enteignung und den Einsatz eines Gaswagens, der von Polen nach Belgrad gebracht wurde. Ferner zeigte er serbische Plakate und Karikaturen mit antisemitischer Propaganda. Mitja Ferenc aus Laibach/Ljubljana schilderte das Schicksal der deutschen Minderheit in Slowenien nach dem Zweiten Weltkrieg. Über die Flucht, Internierung und Aussiedlung der donauschwäbischen Bevölkerung in der Vojvodina berichtete Michael Portmann aus Wien. Die Archive für die Zeit von 1944 bis 1948 wären noch nicht alle frei zugänglich, aber es würde sich etwas bewegen. In seiner Dissertation (siehe “Archiv Neuerscheinungen”: Rezension des Buches von Michael Portmann) hat Dr. Portmann den Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien (hrsg. von der Donauschwäbischen Kulturstiftung) als Quelle herangezogen und festgestellt, dass es mehr Opfer gab als im Leidensweg beschrieben.
Wladimir Geiger aus Zagreb gab einen Überblick über die Internierungslager für die deutsche Bevölkerung in Kroatien von 1945 -1947. In den Internierungslagern in Kroatien, die von Mai 1945 bis zu Beginn 1947 existierten, kamen 10.000 – 20.000 Volksdeutsche, die in Kroatien blieben, um. Todesursachen waren: Typhus, Kälte und Hunger. Obwohl die Alliierten, vor allem die Engländer, von den Lagern wussten, wiesen sie die Transporte ab und schickten die Menschen, die nach Österreich wollten, wieder zurück.
Sanja Petrovic Todosijevic, Belgrad, berichtete über “Die Betreuung deutscher Kinder in Waisenhäusern in Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 – 1952”. Leider hatte sie sich bei ihrem Vortrag nur auf Akten des Roten Kreuzes gestützt. Dies waren Berichte von Erziehern und Lehrer, die diese an das Ministerium senden mussten. 24 000 Kinder waren interniert und 3000 Waisenkinder sind in Waisenhäuser eingewiesen worden mit dem Ziel, sie zu Antifaschisten zu erziehen. Es gab Anweisung, dass deutsche Kinder keine Gruppen bilden dürfen. Sie sollten assimiliert und im Zeitgeist erzogen werden. Zu diesem Thema gibt es eine hervorragende Studie von Herbert Prokle mit dem Titel “Der Weg der deutschen Minderheit Jugoslawiens nach Auflösung der Lager 1948”. Die schon erwähnte Dokumentation Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien schildert die Kinderschicksale in Band III sehr ausführlich.
Prof. Dr. Georg Wildmann, Beirat der Donauschwäbischen Kulturstiftung, sprach über die Entstehung der Dokumentation Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien in den 1990er Jahren, die auf über 4000 Seiten die Zeit zwischen 1944 und 1948 beleuchtet. Das Grundgerüst dieser Bände bildete eine äußerst umfangreiche Sichtung und Zusammenstellung der Berichte der Erlebnisgeneration, die im Bundesarchiv Koblenz (jetzt: Bayreuth) sowie in Ortsmonographien und Zeitschriften erhoben werden konnten. Erstmals konnte dadurch eine systematische Darstellung der Erschießungen und der Lagerinternierung sowie der Differenzierung der Lager in örtliche Arbeitslager, bezirkliche Zentrallager und regionale Vernichtungslager vorgenommen werden. Die Darstellung der Verfolgungs- und Eliminierungsvorgänge hat sich bis heute als sehr stichhaltig erwiesen und fand auch bei Historikern aus Serbien Anerkennung.
Dr. Mathias Beer aus Tübingen aus gab einen Überblick über Flucht und Vertreibung in Südosteuropa am Ende des Zweiten Weltkriegs. Er stellte zehn Thesen über die Besonderheiten in Osteuropa auf und zog einen Vergleich mit Polen und Tschechien. Seine Schlussfolgerung war, dass die Geschichte Südosteuropas nur verstanden werden kann, wenn sie im internationalen Kontext betrachtet wird.
Wolfgang Kessler berichtete über die Heimatbücher - jene von der HOG Filipova gelten als die besten.
Sehr bedrückend und eindrucksvoll war der Beitrag von Joze Dezman (Kranj). Er ist Leiter der Kommission für verborgene Massengräber, die die slowenische Regierung 1995 eingerichtet hat. Herr Dezman zeigte - mit Musik untermalt - Massengräber in Slowenien. Es herrschte Sprachlosigkeit bei den gezeigten Bildern der 600 Massengräber aus Slowenien. In Slowenien wurden 1,5 Millionen Tote nach dem 2. Weltkrieg gefunden. In Serbien gibt es 1200 Massengräber mit mehr als einer Million Toten. Die Hälfte der deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien kam dort um. Dieser Vortrag bestätigte einmal mehr, dass Tito bezüglich der Missachtung der Menschenrechte Stalin in keiner Weise nachstand.
Resümee der Tagung: Wie sieht die Wahrheit aus? Es gibt viele Perspektiven und eine immense Vielschichtigkeit bezüglich der Wahrnehmung von Genozid, ethnischer Säuberung, Judenverfolgung und Verbrechen an den Deutschen, Verbrechen durch die Deutschen. Ein zentraler Punkt ist dabei die Aufhebung der Kollektivschuld der Deutschen, insbesondere der Donauschwaben. Alle Seiten sollten auf eine Versöhnung hinarbeiten. Im Sinne dieser Versöhnung sollte eine gemeinsame emotionale und wissenschaftliche Aufarbeitung erfolgen. Es muss nach gemeinsamen Ansätzen für eine Bewertung geforscht werden.
Wilhelmine Schnichels
2012-04-17