Dialog an der Donau

Gespräche zwischen einem Serben und einem Deutschen

von Nadežda Radović

Ich weiß nicht, ob Stefan Barth und Nenad Novak Stefanović wussten, wie wichtig ihr Unterfangen sein wird und was sie alles entdecken würden, als sie nach den serbisch-deutschen Beziehungen in der Vergangenheit suchten. Aber, das Buch Dialog an der Donau ist selten spannend und für dieses verrückte Land eine wichtige Lektüre. Wenn man mindestens ein Buch in der Woche liest, über Bücher schreibt, dann ist es nicht leicht, dass man von einem Buch von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt wird. Obwohl der Dialog des Serben und des Deutschen fast anekdotisch beginnt, indem Nenad sich bemüht ein Gläschen echten Hausschnapses auf nüchternen Magen anzubieten, und Stefan nicht glauben kann, dass Schnaps auf nüchternen Magen ein Heilmittel sein kann, woran ich auch meine Zweifel habe, werden zwei Freunde zahlreiche, manchmal auch sehr schmerzliche Fragen angehen, die in letzter Konsequenz der Grund für die Hindernisse sind, die Deutschland Serbien auf dem Weg in die Europäische Union aufgestellt hat. Also, ein Serbe und ein Deutscher suchen nach Gründen der Freundschaft und des Hasses, entwirren die verworrenen Geschichten und Vorurteile und hören vor allem einander zu. Der größte Nutzen, der uns mit diesem Buch zuteilwird ist, dass man einander zuhört und seine Sehnsüchte und seine Beweggründe versteht.
Vor allem, das Tabu, über die größte nationale Minderheit im Königreich Jugoslawien zu reden, hat sich über unsere Donauschwaben auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens am längsten erhalten. Vor diesem Tabu enthüllte man Goli Otok und die Abrechnungen innerhalb der KPJ, und bis in die Details die Verfolgung seltener Intelektueller, die den Mut hatten mit eigenem Kopf zu denken, und das Stigma der LGBT-Bevölkerung*). Die Serben sind darin keine Ausnahme. Die Kroaten haben an der Enttabuisierung des Schicksals der Donauschwaben eifriger gearbeitet, aber auch dort beschränkte sich die Literatur auf zwei Ebene: Auf das Institut für Neuere Geschichte und seine Abteilung für die Zeit nach dem Krieg und auf Dr. Vladimir Geiger. Das, was Serbien nicht getan hat, haben hier die unabhängigen Intelektuellen getan. Es ist dabei interessant, dass sie sich für die Gespräche über die „verhassten“ Schwaben unabhängig voneinander entschieden hatten. Zu den Verbindungen zwischen den Intelektuellen, die sich mit dem Schicksal der Donauschwaben befassten, kam es erst später, als sich bereits alle, etwa zwanzig, in eigenem Werk erklärt hatten. Auch die Wege, wie sie zu diesem Thema gefunden haben, waren unterschiedlich. Vielleicht ist deshalb die literarische Produktion mit der donauschwäbischen Thematik in Serbien so unterschiedlich, reichhaltig und unverwechselbar.
Nenad Novak Stefanović hat mit dem Buch Ein Volk an der Donau, mit dem ersten Buch der Trilogie Erde im Koffer und Doktor hört Sving das Thema eröffnet. Die Öffentlichkeit zeigte großes Interesse. Die Lesungen dieser Bücher waren Ereignisse in den Städten der Woiwodina. Bei einigen dieser Lesungen befanden sich Opfer und Täter im Saal. Auch nach sechzig Jahren war die Athmosphäre angespannt.
Das Buch Dreilaufergasse von Dragi Bugarčić ist ein großer Roman über das Gewissen und die Verantwortung des Schriftstellers. Ein reifer Roman eines brillianten Romanschreibers, des größten Experimentators in der Gegenwartsliteratur in Serbien durch die Anwendung mehrerer Erzählebenen. Es zeigte sich, wie wahr die Vermutung des Schriftellers war, dass derjenige, der sich des verhassten Themas annimmt auch selbst gehasst wird. Vielleicht ist das Verhältnis zur Dreilaufergasse der beste Indikator der Macht dunkler Kräfte, die unschuldige Menschen liquidiert und das Gespräch darüber unterdrückt hatten, aber immer noch mächtig und hellwach sind und unser Leben verdunkeln.
Das Buch Intoleranz von Nemanja Rotar ist ein Zeugnis, dass erst die Enkelkinder aus dem verhexten Kreis der gegenseitigen Anschuldigungen herauskommen können. Die Identifizierung des Enkels mit einem Jungen aus der Generation des eigenen Großvaters, hat uns mit der ewigen Qual junger intelligenter Menschen aus diesen Regionen konfrontiert, die eine Perspektive nur in der Flucht aus dem eigenen Land sehen. Vielleicht gerade deshalb, weil wir uns nicht rechtzeitig mit uns selbst konfrontiert haben. Unsere Agonie dauert schon zu lange.
Auch andere Schriftsteller haben aufregende Romane geschrieben, wie Tomislav Ketig Die Krebskinder und Die langen Schatten der Morgendämmerung, Igor Marojević Schnitt und Mutterhände, Živan Ištvanić Der schwarze Baron. Das Drama Das Banat von Uglješa Šajtinac wird schon seit mehreren Jahren in dem renommierten jugoslawischen Dramentheater gespielt. Aus der Perspektive der Frauen sind entstanden Donauschwäbinnen I und II, die in Österreich zusammengefasst unter dem Titel Donauschwäbinnen in deutscher Sprache erschienen sind, und Schwabenkinder aus dem letzten Transport. Der Dialog des Serben Nenad Novak Stefanović und des Deutschen, unseres Schwaben aus Futok, Stefan Barth (Der Junge aus der Nachbarschaft) war gerade Dank aller dieser Bücher möglich geworden. Die Bücher waren ein Zeugnis, dass wir angefangen haben uns mit den Leiden unserer Nachbarn von gestern auseinanderzusetzen und bereit waren ihre Lebensberichte, Argumente und Wünsche anzuhören. Die Bücher sind ein Pfand des Vertrauens. Nenad und Stefan haben viele Menschen gefunden, die Deutsche und Serben verbinden. Unter den größten deutschen Schriftstellern gibt es auch diejenigen, die Serbisch sprachen, Serbisch schrieben und serbische Texte übersetzten. Die Zeit des Romantismus in Deutschland ist mit der Bekanntmachung serbischer Volkslieder gekennzeichnet. Die Reformatoren Vuk Stefanović Karadžić und Dositej Obradović waren deutsche Schüler, die Gebrüder Grimm und von Goethe konnten Serbisch. Vor Vuk Karadžić hat die serbischen Volkslieder ein Deutscher aufgeschrieben. Das Erlanger Manuskript ist eines der bedeutendsten Dokumente für die Kultur der Serben, obwohl es SANU (Die serbische Akademie der Wissenschaft und Kunst) beiseitegeschoben hat. Vielleicht ist es ihnen unangenehm zuzugeben, dass ein Deutscher als erster unseren nationalen Schatz bewahrt hat und ihm gebührt der Dank, dass wir die früheren Versionen der Lieder in einer Ursprungsform haben, die Vuk Stefanović Karadžić hundert Jahre später aufgeschrieben hat. Und, o Wunder, dieses Manuskript wird in der Universitätsbibliothek der Stadt Erlangen aufbewahrt, in der Stefan Barth lebt.
Nenad und Stefan flüchteten nicht vor schmerzlichen Fragen. Das Schicksal der Juden am Anfang des Zweiten Weltkrieges, die Verantwortung der Deutschen und der serbischen Quislinge für die Tatsache, dass gerade Serbien, als das erste europäische Territorium „judenfrei“ war, wurde sorgfälig untersucht. Aus den Argumenten, die beide gesammelt haben und der Leidenschaft, mit der sie argumentieren, spürt man, wie schmerzlich diese Themen noch sind. Aber, sie sind diesem Thema nicht ausgewichen und sind auch nicht nur bei der Erhärtung der Fakten über die Verbrechen und die Verbrecher stehen geblieben. Für sie sind immer wieder Menschen wichtig, mit denen man freundschaftliche Beziehungen aufbauen kann. Gerade deshalb haben sie diesen Dialog zwei jungen Männern gewidmet, die ihre Überzeugung, dass es die menschliche Pflicht sei andere vor dem Bösen zu schützen, mit dem Leben bezahlt haben – Josef Schulz und Srđan Aleksić. Josef Schulz hatte es 1941 abgelehnt auf unbewaffnete serbische Bauern-Geiseln in Smederevska Palanka zu schießen und reihte sich in den Reigen des Todes ein. Srđan Aleksić hat sich 1993 auf dem Marktplatz in Trebinje einer Militärpatrouille widersetzt, die einen jungen Verkäufer mit einem muslimischen Namen malträtiert hatte. Er wurde zu Tode geprügelt. Der junge Mann, den er beschützte, hat überlebt. Das sind die Helden von Nenad und Stefan.
Also, jetzt sind wir schon so weit gekommen, dass die Serben am besten von unseren Schwaben verstanden werden, obwohl es dieselben sind, die wir stillschweigend vertrieben, ihres Vermögens beraubten und ihnen, nach den Gesetzen der damals geltenden Kollektivschuld, die Menschenrechte genommen hatten. Die Kollektivschuld ist heute nur noch ein schlechtes Beispiel der Abwesenheit von Menschenrechten. Unsere Schwaben haben sich ihr Leben weit von den balkanischen Turbulenzen eingerichtet, aber einige verspüren zwischen den Zehen immer noch den warmen, weichen Staub der Woiwodina aus ihrer Kindheit. Was hätten wir erreicht, wenn sie bei uns geblieben wären? Mit dem Arbeitseifer, Organisationstalent, Selbstdisziplin würden sie unsere Schwerfälligkeit und Desorganisation aufrütteln. Es ist nicht zu spät, sich bei unseren Nachbarn zu entschuldigen und Gedenkstätten dort zu errichten, wo Donauschwaben umgekommen sind. Sie sind unsere einzige Eintrittskarte in die Europäische Union.

Die serbische Fassung des Buches ist im Medienverlag „Krug“, Belgrad, 2013 erschienen. Titel: DIJALOG jednog Srbina i Nemca na DUNAVU, ISBN 978-86-83523-46-7, 340 Seiten.

Die deutsche Fassung ist im Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, München, 2013 erschienen. Titel: DIALOG AN DER DONAU, Gespräche zwischen einem Serben und einem Deutschen, ISBN 978-3-926276-91-9, 400 Seiten
Siehe: Dialog an der Donau

Dieser Artikel ist in der serbischen Tageszeitung DANAS veröffentlicht worden.

Aus dem Serbischen übersetzt von Stefan Barth

*) LGBT ist eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (lesbisch, schwul, bisexuell und transgender).

2022-12-13