Ein Zerrbild von den “Banater Schwaben”

Betroffene Anmerkungen eines Zeitzeugen und Historikers zu Thomas Casagrandes publizierter und referierter Darstellung einer jugoslawiendeutschen Minderheit

von Helmut Erwert

Casagrande, Thomas: Die volksdeutsche SS-Division “Prinz Eugen”. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen.
Frankfurt/Main 2003.
Campus Verlag. 368 Seiten. 39,90 Euro.
ISBN 3-593-37234-7

Über 30 Jahre nach Titos Tod wirkt die gelenkte kommunistische Geschichtsschreibung in der rechtsstaatlich verfassten, auf Wahrheit und Korrektheit gründenden Bundesrepublik Deutschland offenbar munter fort. Sehen sich die überlebenden Betroffenen der volksdeutschen Minderheit des Banat (Vojvodina), die als Kinder die dreijährigen jugoslawischen Todeslager Titos überlebten, verständlicherweise als Opfer, so wird in Ebenen der historischen Wissenschaftszunft hartnäckig daran festgehalten, dass es diese Lager gar nicht gegeben habe oder zumindest die dem Hunger- oder dem Erschießungstod entkommenen Kinder, Mütter und Alten ihr Schicksal irgendwie ja doch verdient haben müssen, nach alledem, was ihnen an “Kollaboration” angelastet werden könne.

Notwendigkeit der Aufarbeitung

Abgesehen davon, dass diese Kollaboration oft schon darin gesehen wird, dass die volksdeutsche Bevölkerung beim Einmarsch der Deutschen in Jugoslawien 1941 unverhohlene Freude empfand, gleichsprachigen, ähnlich akkulturierten Menschen “aus dem Mutterland” zu begegnen, muss die ökosozial, regional und bildungsstrukturell vielschichtige deutsche Minderheit in ihrem Verhalten sehr differenziert untersucht werden, zumal sie als Gruppe in dem neuen jugoslawischen Vaterland wenig politische Anerkennung erfuhr, es vielfach als ein stiefväterliches Vaterland empfand, dem sie - gegen ihren Willen – überantwortet worden war. Was konnte das Gros der z. T. unpolitischen Bevölkerung außerdem in den 30-er Jahren damals vom fernen Deutschen Reich und von dessen wirklichen geheimen Zielen wissen?

Freilich gab es in dieser Minderheit junge politische Eliten, die mit anfänglich jugoslawischer Bildung ins Reich gelangen konnten, dort sich für ein “Deutschtum” begeisterten, das nicht frei von NS-Ideologie sein konnte. Diese Begeisterung brachten sie in ihr Heimatland zurück, wobei sich oft die alte Sehnsucht nach dem Mutterland, das tiefe Gefühl der Zugehörigkeit zu einer deutschen Kulturheimat, das schon durch die Muttersprache gegeben war, untrennbar mit Vorstellungen von deutscher Überlegenheit, in nicht genau quantifizierbaren Fällen sicher auch von deutscher Vorherrschaft verband. Dies ist in den Landsmannschaften nach dem Kriege und im Wirtschaftswunderland BRD nie geleugnet, nie unter den Teppich gekehrt, aber selten wirklich kritisch hinterfragt worden.

Daher ist es nicht überflüssig, ja sicher notwendig, wie es Carl Bethke in seiner Rezension zu Casagrandes Buch über die Division “Prinz Eugen” zu Recht fordert, (von einzelnen Stimmen aus den Reihen der Banater Zeitzeugen war dies auch längst erwünscht), dass die Rolle dieser politischen Eliten und ihrer nicht unbeträchtlichen Anhängerschaft zur Zeit der deutschen Besatzung Jugoslawiens einer gründlicheren historischen Untersuchung unterzogen werde.

Freilich sollte man aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sollte man nicht aus falsch verstandenen Passagen abgeschriebener Sekundärliteratur, aus Informationen überholter ideologischer Einfärbung, aus partiell ausgewählten Quellen pauschalierend überzogene Thesen oder schlichtweg Falschinformationen formulieren.

Historische Darstellungen müssen umfassend recherchiert, die oral history und die Geschichte von unten einbezogen werden. Wo den Deutschen Negatives angehängt wird, finden sich heute schnell Abschreiber, auch wenn der Wahrheit ins Gesicht geschlagen wird. Die Folgen solchen Vorgehens für das Bemühen um Wahrheit sind verheerend.

Falschinformation, ungerechtfertige Vorwürfe

Hier soll nicht die Rede sein vom Verschweigen der Todeslager von 1945-1948, wie in dem umfassenden Buch der Professorin Marie-Janine Calic (“Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert”). Die Existenz dieser “Vernichtungslager” ist inzwischen in der internationalen Historikerzunft allgemein wenig umstritten. Empörend ist eine pauschalisierende Darstellung der verallgemeinernd als “die Banater Schwaben” apostrophierten jugoslawiendeutsche Minderheit aus dem Banat, die Dr. Thomas Casagrande im Buch “Die volksdeutsche Division ‚Prinz Eugen’ - Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen” wie in seinem Referat auf einer internationalen historischen Fachtagung über das “Verschwinden der deutschsprachigen Minderheit” in Jugoslawien im März 2012 in Bad Radkersburg der Öffentlichkeit präsentierte.

Nach dem Vortrag attestierte Dr. Peter Binzberger in seinem Diskussionsbeitrag dem Referenten und Buchautor bei all seinen Vorbehalten enormen Fleiß bei seinen Recherchen, und ich stehe nicht an, dies im mindesten in Zweifel zu ziehen, vor allem, was das Quellenstudium zur Vorgeschichte und Kolonisation betrifft, aber sein an späteren Kernstellen schiefes, ungerechtes, einseitiges, plakatives und realitätsfremdes Urteil über die Rolle der Banater Schwaben während der Zeit der Besatzung, vor allem in der volksdeutschen Division “Prinz Eugen”, kann man nicht akzeptieren, auch wenn da und dort zutreffende Passagen formuliert sind.

Schon die lockeren Behauptungen zum Jahr 1941 – “Die Volksgruppenführung … organisierte die Bewaffnung der deutschsprachigen Bevölkerung”, “der Einsatz der bewaffneten Einheiten der Volksgruppe konnte einige militärische Erfolge erzielen”, “diese bewaffnete Teilnahme volksdeutscher Verbände am Kampfgeschehen” habe der donauschwäbischen Bevölkerung den Vorwurf eingebracht, “zum Teil als deutsche ‚Fünfte Kolonne’ maßgebend an der Zerschlagung” Jugoslawiens beteiligt gewesen zu sein (S. 156 ff.), - wobei der Autor diesen Vorwurf nirgends entkräftet! - ist längst von der ernsthaften Forschung als falsch und tendenziös erkannt.

Das Schlagwort von den banatdeutschen “Profiteuren” in der Zeit der deutschen Besetzung Jugoslawiens - “… ab 1941 konnten die Volksdeutschen …ihre Privilegien genießen” (S. 182; ähnlich S. 141, 174, 343, 346, u. a.) - werden Zeitgenossen mit Kopfschütteln quittieren und sich fragen, inwiefern “die donauschwäbische Bevölkerung” insgesamt vom Erfolg des Dritten Reiches profitieren konnte? Etwa weil sie deutsche Schulabteilungen, ab 1941 die volle “Schulautonomie” (S. 343) bekommen hatte? Ist es ein Vorteil für die deutsche Minderheit, wenn sie nach 20 Jahren Assimilationsdruck ihre vom Völkerbund zugestandenen Identitäts-Rechte verwirklicht bekam, ihre Kinder in der Muttersprache gefestigt zu erziehen?

Sicherlich gab es einzelne Profiteure in den politischen Eliten der Minderheit, aber es ist völlig falsch, dies auf ihre Gesamtheit zu projizieren. Wo ist ein “Profit” der volksdeutschen Gesellschaft auszumachen, wenn ihre Ernteerträge wie die der Andersnationalen seit der Besetzung minutiös erfasst und als Zwangsabgabe zu vorgeschriebenen Preisen konfisziert wurden? Kann man es ein “Privileg” nennen, wenn ihre gesunden Männer in einen selbst nicht erwünschten Krieg auf dem Balkan zwangsweise eingezogen wurden, während sie zuhause auf den eigenen Feldern, im Handwerk, im Geschäft unentbehrlich waren? Was ist das für ein “Privileg”, wenn fürderhin die Kinder ohne Väter, die Frauen ohne Ehemänner blieben?

Manche Männer überlebten als Invaliden, andere kehrten nie mehr zurück, ließen ihre Familien ohne Ernährer. Selbst wenn sie die Kriegsgefangenschaft heil überstanden, war der Verlust des Vermögens, der angestammten Heimat, ein kaum zu überwindender menschlich-existenzieller Niedergang.

Schiefe, missverständliche Behauptungen

In der Behandlung der Vorstufe des Partisanenkrieges taucht die suggestive, schiefe bzw. fahrlässig falsche Formulierungen auf, dass “bei allen deutschen Volksgruppen … mehr wehrfähige Männer zur SS als zur Wehrmacht” (S. 19) gingen. Dies führt einen uninformierten Hörer oder Leser vollkommen in die Irre, da die meisten Männer, obwohl Mitglieder der “Freiwilligen Waffen-SS-Division Prinz Eugen” keine wirklich Freiwilligen waren. Sie “gingen nicht zur SS”, sie wurden hineingepresst! “Die Nichtbefolgung der Einberufung zieht die strengste Strafe nach sich” hieß es im Einberufungsbefehl (Dokumente, V, S. 177 E).

Nicht viel wahrheitshaltiger ist Casagrandes Behauptung, “der Weg der Volksdeutschen auf dem Balkan, insbesondere der Weg der Banater Schwaben” habe sie “zur Bekämpfung der Partisanen und damit ihrer Nachbarn” (S. 14) geführt, die Männer seien “ausschließlich in ihrer Heimatregion eingesetzt” (S. 20) gewesen. Nur wer nicht vertraut ist mit den geographischen, ethnischen und kulturhistorischen Fakten des großen Unterschieds zwischen der weiten pannonischen Tiefebene und der kleinteilig-gebirgigen Landschaft des Balkan, zwischen der ethnisch gemischten Bevölkerung der pannonischen Vojvodina mit ihrer mitteleuropäisch-habsburgischen Prägung und den z. T. homogenen slawischen Bevölkerungsteilen in den Bergen südlich der Donau, die Jahrhunderte lang unter türkischem Joch standen, kann behaupten, die Banater Schwaben hätten gegen “ihre Nachbarn” in “ihrer Heimatregion” gekämpft. Sie hatten vor 1919 mit den südlich der Donau lebenden slawischen Völkern auch politisch überhaupt nichts zu tun. Gegen ihren Willen in den jugoslawischen SHS-Staat zwangsweise eingegliedert, hatten wenige eine Ahnung von den balkanischen Landschaften Altserbiens.

Ihre wirklichen “Nachbarn” waren die Rumänen, die Ungarn, die Vojvodiner Serben, mit denen und neben denen sie zwei Jahrhunderte weitgehend friedlich verbracht hatten. Viele Familien der verschiedenen Ethnien waren im Habsburgerreich zu Reichtum und Ansehen gekommen, fühlten sich, wie viele Schwaben, als zivile Bürger, hatten sich nach der deutschen Besetzung niemals – außer in Einzelfällen - den Partisanen angeschlossen. Sie empfanden selbst einen Abstand zu ihren Landsleuten in den Bergen, die sie scherzhaft mit spöttischem Unterton: “Pretschani” oder “Lale” nannten.

Der Guerillakrieg 1941-1945 auf dem Balkan wies zweifellos viele Facetten von Feindseligkeit und Grausamkeiten auf. Diese dienen nun aber Casagrande als soziologisches Erklärungsmuster für seine außerhistorische These, dass “die Eigenen”, (die Banater Schwaben), in einer sozusagen psychotisch bedingten Wut gegen alles Fremde, d. h. gegen die Partisanen in den Balkanischen Bergen, einen “ethnisch motivierten Krieg” (S. 21) führten. Zur “Unterstützung des Eigenen und Vernichtung des Fremden” (S. 249) habe dieser Kampf, so insinuiert der Autor, “in Racheorgien entladene Gewalt gegen das Fremde” (S. 236) zur Folge gehabt. Die Banater Schwaben hätten den Krieg außerdem “zur Aufrechterhaltung der deutschen Herrschaft” in Jugoslawien geführt (S. 264).

Wie sollten “die Volksdeutschen” oder “die Deutschen” einen “ethnischen” Krieg gegen “die Fremden” geführt haben, wo doch die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS mit der “fremden” serbischen Regierung, mit Teilen der “fremden” serbischen Tschetnici, mit “fremden” kroatischen Teil-Streitkräften paktierten? Wie kann man solche Beziehungen mit einem angeblichen Willen, “das Fremde” zu vernichten, in Einklang bringen?

Der unfreiwillige Einsatz der Schwaben auf dem fernen und fremden Balkan, von Himmler aus strategischen Gründen instrumentalisiert, vollzog sich nicht aus überzeugtem Hass auf das Fremde, nicht aus dem Wunsch auf gewaltsame Vernichtung einer “fremden” (slawischen? serbischen?) Ethnie. In einen heimtückischen Guerillakrieg befohlen, kämpften die Männer in erster Linie auch nicht um die “Aufrechterhaltung der deutschen Herrschaft” in dem von ihrer Heimat weit entlegenen, wenig fruchtbaren, kaum begehrenswerten Bergland, sondern in allererster Linie wohl aus individueller Angst um das eigene Leben, das in jeder Minute in Gefahr stand, aus dem Hinterhalt ausgelöscht zu werden. .

Wie “menschlich” ist ein Guerillakrieg?

Der Balkankrieg von 1941-1945 war ein strategisch und ideologisch geführter Krieg, der sich entlang ethnischer Grenzen strukturierte, und er war ein Guerillakrieg, bei dem es auf allen Seiten schreckliche Grausamkeiten gab. Die beschränkte Perspektive Casagrandes macht freilich die Gräuel nur auf der einen Seite fest, halst sie sogar, ohne konkrete Beweisführung, der deutschen Zivilbevölkerung auf: “Der vorübergehende Aufstieg der volksdeutschen Bevölkerung war auch von der Mehrheit ihrer Mitglieder mit aller Unmenschlichkeit und Härte gegenüber den anderssprachigen Bevölkerungsgruppen durchgesetzt und verteidigt worden.” (S. 347) Dass die Partisanen von Anfang an Zuflucht zu unmenschlicher Heimtücke in jeglicher Form suchten, verschweigt der Referent und Autor vollkommen. Die völkerrechtswidrigen Aktivitäten der Partisanen waren meist der Anlass zu ähnlich unmenschlichen Sühnemaßnahmen des deutschen Militärs. Zum Teil forderten Partisanenführern sogar zu Gräueltaten auf, um durch die erwünschte überzogene Reaktion der Deutschen viele Einheimische zu provozieren und in die Arme der Partisanen zu treiben (Jovica Stevic). Nirgends jedoch ging der Referent auf die Kampfanweisungen der Partisanen ein, die zu Hinterlist und Heimtücke aufriefen, in Funksprüchen triumphal vom “Abschlachten” des Gegners sprachen. Man lese im Buch von Kurt Böhme nach (“Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges, Bd I/1: Die deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien 1941-1949”), wie Zeitzeugen in einmütigen eidesstattlichen Erklärungen vor dem US Militärgerichtshof V in Nürnberg ihre Bestürzung äußerten über die “unfassbaren Gräueltaten” der Partisanen, die sie so nur auf dem Balkan vorzufinden glaubten: Gefangene, Schwerverwundete, selbst solche widerstreitender jugoslawischer Formationen (Tschetnici, Ustaschi, Muslime) wurden hingeschlachtet, das Schädeleinschlagen, Augenausstechen, Abschneiden von Nase, Zunge, Ohren, Fingern, der Genitalien gehörte zum Kriegsalltag. Ob der ungerechtfertigte Schnelltod durch Erschießen einem qualvoll herbeigeführten, erniedrigenden Foltertod vorzuziehen ist, sei dahingestellt, aber einen Unterschied im Grad der teuflischen Bosheit scheint es hier wohl doch zu geben. Eine objektiv konzipierte Geschichtsschreibung dürfte die entwürdigenden Verstümmelungen nicht unerwähnt lassen, die die brutalen Gegenreaktionen der deutschen Befehlskette auslösten.

Keinerlei Todesarten von Unschuldigen sollen hier verteidigt werden. Von oben befohlen, waren sie überzogene Kriegsverbrechen, und alle unschuldigen Opfer sind mit tiefem Mitgefühl zu bedauern, auf der einen und auf der anderen Seite, aber ein empathischer Historiker der nachgeborenen Generation, der sich zu Urteilen über die Unvollkommenheit von Menschen und Zeiten aufschwingt, sollte gerechterweise auch die Stiefel des deutschen Soldaten im Guerillakrieg anziehen, der hinter jedem Haus, jedem Busch ein Messer oder einen Schuss aus dem Rückhalt gewärtigen musste.

Wir Gutmenschen, die wir bisher nie in unfassbare Schlammassel verwickelt waren, sollten vorsichtig sein mit pauschaler Verurteilung, um nicht als engstirnige Oberlehrer dazustehen, um nicht Opfer von Thesen zu werden, die es auf Teufel-komm-raus zu beweisen gilt. Seine abstrakte “Verteufelung” der Prinz-Eugen-Division stützt Casagrande weitgehend auf Quellenmaterial der obersten Befehlsebene, gibt selbst zu, dass die Realität äußerst vielschichtig ausgesehen haben mag: “… die letzte Entscheidung, wie die Bevölkerung zu behandeln war, (lag) in den Händen des jeweiligen höchsten SS-Führers.” (S. 236).

Aus Soll-Befehlen folgert er umfassende Realität und Faktizität, ohne reiche Detaileinsicht in Bataillons- oder Kompanie-Dokumente, und dies ein halbes Jahrhundert danach, da keiner der Akteure mehr befragt werden kann, keiner die Realitäten der äußerst verschlungenen, komplizierten Vorgänge auf dem Balkan bestätigen oder widerlegen kann. Ist das fair?

Bei den vom Autor zitierten grausamen Abwehr- und Abschreckungsbefehlen fragt man sich auch, ob in anderen deutschen oder in russischen Divisionen, die in ähnlich gelagerte Kämpfe verwickelt waren, es nicht Vorgänge gab und gibt, die, an den Maßstäben der Humanität gemessen, als massenhafte Kriegsverbrechen zu brandmarken wären. Das Urteil des Amerikanischen Gerichtshofes Nr. V gegen die Südost-Generäle in Nürnberg jedenfalls hat nach dem Krieg bestätigt, dass die jugoslawischen Partisanen einen völkerrechtswidrigen Guerillakrieg führten, dass sie mit kriegsbedingten Vergeltungsmaßnahmen der Besatzungsmacht, die die Einhaltung der Kriegsregeln erzwingen sollten, rechnen mussten.

Ein Krieg, wo nicht offener Kampf, sondern Lüge, Betrug, Hinterhältigkeit eine entscheidende Rolle spielt, hat eigene Gesetze. Mit Recht freilich wandte sich der Gerichtshof gegen ein “Übermaß an Repressalien”, wenn sie mit “militärischer Notwendigkeit” nicht mehr begründet werden können. Dies wäre bei der kämpfenden Truppe in präzisen Untersuchungen minutiös zu analysieren, die Ursachen und Umstände auf mittlerer und unterer Ebene detailliert nachzuweisen, der Vergleich mit der Vorgehensweise anderer im Guerillakampf eingesetzter Truppen einzubeziehen, bevor ein umfassendes Urteil gefällt werden könnte. “Bei der schier undurchschaubaren Vielfalt von deutschen und einheimischen Dienststellen im besetzten Jugoslawien und der damit verknüpften vielschichtigen Befehlsgebung … besteht die Vermutung, dass dem deutschen Soldaten später … zum Vorwurf gemacht wurde, was (die eigene, d. V.) Partei, der Sicherheitsdienst und die Geheime Staatspolizei tatsächlich verbrochen hatten.” (Kurt Böhme, S. 16)

Glorifizierung völkerrechtswidriger Gräuel

Mangelndes geschichtliches und menschliches Verständnis für die verzweifelte Situation jener Männer auf dem Balkan führte den Referenten zu dem haarsträubenden, realitätsfremden Vorwurf, die Volksdeutschen hätten einzig richtig gehandelt, wenn sie zur Partisanenarmee übergelaufen wären! Wie realitätsfern, wie illusorisch, wie bar jedes soziologisch-historischen Einfühlungsvermögens ist so eine Empfehlung?

Wie wirklichkeitsnah ist es, einem familiär verwurzelten Soldaten zu raten, sich von Frau und Kind, von Sippe und Muttersprache, vom heimatlichen Umfeld loszusagen, um sich unbekannten Männern fremder Lebensart mit kommunistischer Ideologie anzuvertrauen? Wie sollte außerdem ein deutschsprachiger Soldat, von den Kameraden unbemerkt, sich Zivilkleider beschaffen und sich seiner Uniform entledigen? Wie sollte er sich den in Feindstellung lauernden Partisanen anvertrauen? Hätte er nicht sofort den Verdacht der Spionage erweckt, wäre im nächsten Augenblick umgelegt worden?

Warum hätte er zum Gegner überlaufen sollen, aus humanitären Gründen etwa, wo er oft genug Zeuge von dessen menschenverachtenden Gräueltaten an Kameraden geworden war? Wieso sollte er sich aus ideologischen Gründen zu den Kommunisten schlagen, da er doch wissen konnte, dass diese ihm sein ererbtes oder schwer erworbenes bürgerliches Privatvermögen streitig machen würden?

Waren denn die Partisanen, nachdem heute ihre tausendfachen Gräuel an eigenen und andersnationalen Zivilisten offen liegen, wirklich jene edlen Menschen, die man als humanitäre Zuflucht empfehlen sollte? Warum sind nicht die Tschetnici zu ihren kommunistischen Landsleuten übergelaufen, warum nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der bürgerlichen Serben der Vojvodina?

Die Glorifizierung der unbedeutenden Anzahl volksdeutscher Überläufer zu den kommunistischen Partisanen (S. 350 f.) wäre auch aus Sicht der heute noch lebenden Altbürger meiner Heimatstadt Bela Crkva (Weißkirchen) unverständlich. Dort war von 10.000 verschiedennationalen Stadtbürgern nicht mal eine Handvoll “in den Wald gegangen” – wie man damals sagte. Ist den anderen 9 990 Serben, Rumänen, Ungarn, Deutschen, gerechterweise der Vorwurf zu machen, dass sie während der deutschen Okkupation sich nicht zu den Kommunisten geschlagen hatten?

Der Referent und Buchautor scheint der Authentizität und Realität volksdeutscher Befindlichkeiten, der differenzierten Vielschichtigkeit der Banater Bewohner, der alltäglichen Wirklichkeit der Division “Prinz-Eugen” wenig kundig. Nach fleißiger Lektüre, die man ihm zugestehen will, blickt er aus einem wissenschaftlichen Glashaus auf seinen Themengegenstand.

Biografische Motivationen

Hat Casagrandes soziologisch-anthropologischer Ansatz ihn zu den überzogenen Negativurteilen über die Schwaben verleitet? Im Buchkapitel “Theorie ethnischer Konflikte” spricht er vom “ethnisch-national begründeten Krieg”, erklärt, dass die Angst vor dem Fremden zu Aggressionen führt. Die Herausbildung einer ethnischen Mentalität brauche einerseits Abgrenzung zum Fremden, eine “mangelnde Öffnung” aber führe zu “Missbrauch des Ethnischen für rassistische und nationalistische Ziele”.

Das ist nachvollziehbar, die “mangelnde Öffnung” einer Volksgruppe ist aber in vielen Ländern zu beobachten, und ohne Zweifel wurde sie und wird sie auch missbraucht, doch ist es höchst zweifelhaft, ob die aufgestellte soziologische These durch das historische Exempel des Verhaltens der Banater Schwaben während der Okkupation und in der Division Prinz Eugen in dieser eklatant pauschalisierten Weise verifiziert werden kann. Die genannte Division rekrutierte sich außerdem nicht einmal zur Hälfte aus Volksdeutschen aus dem Banat.

Es ist nicht auszuschließen, dass die eigene Biographie, die der Autor in Widmung und Vorwort seines Buches offen legt, ihn aus subjektiver Motivation zu seinem rigorosen, überzogenen Urteil geführt haben mag. Einen bewunderten italienischen Offizier als Großvater, einen wenig geschätzten Südtiroler, der für Deutschland optierte und freiwillig zur Waffen-SS sich meldete, als Vater zu haben, ist möglicherweise eine Last, die einiges an Aufarbeitung fordert. Oft genug führen solche biographischen Anstöße zu verschiedenartigen Ansätzen und die subjektiven Faktoren der Geschichtsauffassung werden greifbar.

Die in der Personenkonstellation ähnliche Herkunft des analysierenden Schreibers dieser Zeilen und des Referenten Casagrande führen zunächst zu einer gemeinsamen Position: Vorfahren multikultureller Provenienz, Väter volksdeutsch-südtirolerischer und volksdeutsch-banater Prägung, beide Väter Staatsbürger nicht-deutschsprachiger Nationalstaaten, italienischer und jugoslawischer Souveränität; beide in den Zweiten Weltkrieg verstrickt.

Hier scheiden sich die Wege: Der Südtiroler geht freiwillig, der Jugoslawiendeutsche unfreiwillig in die Waffen-SS; letzterer wird aus seinem blühenden Geschäft gerissen, das er in einem von Serben bewohnten Stadtteil führte. Beschämt erträgt er das künftige Misstrauen seiner Kundschaft, leistet der deutschen, wie ein Jahr zuvor der serbischen Obrigkeit, pflichtmäßigen Gehorsam. Weil es keinen Ausweg gab, lässt der Familienmensch seine junge Ehefrau, seine unmündigen Kinder im Stich, geht widerwillig in einen für ihn undurchsichtigen, unerwünschten Krieg. Als Rechnungsführer dem unmittelbaren Kampfgeschehen enthoben, sträubt der gewissenhafte Buchführer sich gegen jede militärische Beförderung, erwartet sehnlich das Kriegsende, um in sein altes Leben zurückzukehren. Nach der Kapitulation glücklich in Klagenfurt, will dieser Mann – gemäß Zeugenaussagen – so schnell wie möglich ins Banat, um Haus und Hof für seine geflüchtete Familie zu sichern, vertraut sich Partisanen an, die ihm eine unkomplizierte Rückkehr in seine Heimat versprechen, und glaubt ihnen. Seither fehlt jede Spur von ihm.

Wie soll der Sohn dieses friedfertigen, vielsprachigen Stadtbewohners diesen seinen Vater und seine ins gleiche Heer eingezogenen bürgerlichen Verwandten, die nie Probleme mit anderen Nationalitäten hatten, z. T. sogar selbst gemischtnationaler Herkunft waren, in Casagrandes Sichtweise als Hassprediger, als Brutalos verstehen können? Wie soll der Historiker, der der Geschichte seiner Familie gründlich nachgehen will, mit seinen ehemaligen, jetzt vertriebenen städtischen Mitbewohnern viele Interviews gemacht, viele Gespräche geführt hat, sie in ihrer nicht immer multiperspektivischen, aber doch bürgerlich-zivilen Einstellung zu kennen glaubt, mit der negativen Beurteilung Casagrandes zurechtkommen?

2012-05-21