Donauschwäbinnen

Frauenschicksale aus der Wojwodina nach 1941

Vorbemerkung:
In der Ausgabe vom Frühjahr 2012 (Heft 73) der “Filipowa’er Heimatbriefe” heißt es auf Seite 42:

“Nadezda Radovic, Professorin, ist in der feministischen Bewegung in der Vojvodina führend, ist Gründerin und Koordinatorin der Frauenhäuser, Gründerin des SOS-Telefons für Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt wurden, und sie ist schriftstellerisch tätig. Sie gehört zu den Bahnbrecherinnen für ein größeres Verständnis für das donauschwäbische Schicksal im ehemaligen Jugoslawien. Sie machte Interviews mit Schwäbinnen, die das Lager und ihre schrecklichen Lagererlebnisse überlebt haben und in Jugoslawien verblieben sind. Daraus entstanden zwei Bücher, die eine authentische und detaillierte Dokumentation des Schicksals der Donauschwaben in den Lagern darstellen: ‚Svabice’ (Donauschwäbinnen), Bd. I erschien 2000, Bd. II 2001. Die Bücher erschienen in Serbien und besitzen eine nicht geringe Bedeutung für die Donauschwaben, da sie mithalfen, der serbischen Öffentlichkeit das Anliegen einer moralischen und kulturellen Wiedergutmachung bewusst zu machen. Die deutsche Übersetzung des 2. Bandes wurde von Landsleuten der Donauschwaben in Salzburg, Johann und Elisabeth Hollik besorgt und 2011 herausgebracht.”

Bibliographische Daten: Nadezda Radovic, Dobrila Sindelic-Ibrajter, Vesna Weiss: Donauschwäbinnen. Frauenschicksale aus der Wojwodina nach 1941. Übersetzt und bearbeitet von Johann und Elisabeth Hollik.- Salzburg 2011. 318 Seiten. 19,90 Euro.

Zu beziehen über das Donauschwäbische Kulturzentrum “Haus der Donauschwaben” in Salzburg.
Kontaktdaten:
Tel. 0043-(0)6246-76727
E-Post: rwanko@aon.at

Nadezda Radovic

Buchbesprechung von Stefan Barth

Die Journalistin und Schriftstellerin Nadežda Radović, Mitverfasserin des Buches Donauschwäbinnen, sagte anlässlich einer Begegnung mit Besuchern aus Deutschland, die das Konzentrationslager in Rudolfsgnad, heute Knićanin, besuchten:

“Die einfachen Menschen mussten immer für den Leichtsinn und die Abenteuerlust ihrer Führer zahlen. Ich bin mir bewusst, dass niemand die Zeit zurückdrehen und das begangene Unheil ungeschehen machen kann. Für die Opfer ist es zu spät. So wie wir vor den Leiden vieler Anderer innehalten, so müssen wir auch vor den Grabhügeln deutscher Kinder, Frauen und alter Menschen innehalten, die in Rudolfsgnad, Gakowa, Batschki Jarek, Kruschiwl und in vielen anderen Lagern verstreut umgekommen sind. Wir tun es für Deutsche, für ’unsere’ Deutschen, die schließlich aus ihrem Land ins Exil fliehen mussten. Wir können nicht einfach unsere Hände vor der Vergangenheit in Unschuld waschen!”

Nadežda Radović hat sich über die Fragen von Schuld, Rache und Sühne aus der Sicht einer serbischen Frau grundlegende Gedanken gemacht. Sie führte mit gleichgesinnten Frauen die feministische Bewegung in Jugoslawien und später in Serbien an, ist Gründerin und Koordinatorin der Frauenhäuser, Gründerin des Notrufs für Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt wurden, und sie ist journalistisch und schriftstellerisch tätig. Als Schülerin hatte sie, wie fast alle Schüler im ehemaligen Jugoslawien, nur klischeehaft etwas über die Donauschwaben erfahren, die im kommunistischen Titostaat fast ausnahmslos zu den Volksfeinden gezählt worden sind. Ihre Französischlehrerin Anna Rauschenberger, eine Donauschwäbin mit einem außergewöhnlich breiten Wissen, hat in ihr durch ausführliche Erzählungen über Museen in Frankreich die Liebe zur französischen Sprache erweckt. Über das Verschwinden der Donauschwaben aus Jugoslawien dachte sie erst später intensiver nach, als sie am Projekt Erinnerungen von Frauen… Spurensuche nach der Identität von Frauen im Sozialismus gearbeitet hat, “um verdeckte Seiten des Empfindens einer Frau zu enttabuisieren”, wie sie es ausgedrückt hat.

Dabei stellten sich ihr viele Fragen, wie z.B.: Was ist mit den deutschen Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen? Warum gibt es jetzt so wenige von ihnen bei uns? Warum verheimlichten sie so lange ihre Herkunft? Warum kehren sie nicht in ihre Häuser und Dörfer zurück? Haben sie Schuld auf sich geladen? Können auch Kinder für das Geschehene verantwortlich gemacht werden?, usw. Wie eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen reihten sich diese Fragen aneinander. Sie bekamen eine neue Aktualität durch die Ereignisse während des Bürgerkrieges in den neunziger Jahren, deren Grausamkeiten sehr stark an die Vorfälle während des Zweiten Weltkrieges erinnerten. Es folgte die Bombardierung Jugoslawiens durch NATO-Verbände in den neunziger Jahren, die neue Fragen aufwarf, die sich der nachdenklich gewordenen Frau regelrecht aufgedrängt haben. “Alles kehrte wieder” in ihren Gedanken.

Schließlich beschloss sie, zusammen mit ihren Weggefährtinnen Dobrila Sindjelić-Ibrajter und Vesna Weiss, zwölf betroffene donauschwäbische Frauen – die in Jugoslawien geblieben waren - über deren Lebenssituation nach 1941 zu befragen. Daraus ist das Buch Donauschwäbinnen entstanden, das Nadežda Radović ihrer ehemaligen Französischlehrerin Anna Rauschenberger gewidmet hat.

Die interviewten Frauen, die mit serbischen und bosnischen Männern verheiratet sind, schildern ihre Kindheit und die Vertreibung vom ihrem Zuhause, die Enteignung, völlige Entrechtung und die Schikanen und Entbehrungen in den Todes- und Arbeitslagern, die sie ab dem Herbst 1944 schmerzlich erleben mussten. Nach der Auflösung der Lager 1947/48 folgten für die arbeitsfähigen Donauschwaben drei Jahre Zwangsarbeit, irgendwo in Bergwerken, Staatsgütern usw. Auch nach diesem Leidensweg hörte das Schikanieren der Deutschen in der Presse und im Alltag nicht auf. Die Frauen legten sich eine eigene Überlebensstrategie zu: sie lebten zurückgezogen, wollten nicht auffallen, wagten es nicht öffentlich aufzutreten, heirateten einen “Feind” der Deutschen. Jede Frau suchte sich ihre eigene Nische, um zu überleben. So blieben sie dort, wo sie geboren wurden und ihre deutschen Vorfahren Jahrhunderte lang lebten. Man ließ bei dieser Befragung die Zeitzeuginnen frei aus ihrem Leben erzählen und selbst entscheiden was sie für wichtig hielten. Ihre Berichte sollten später Historikern dienen, die Anhänger der oral History sind, und die Antworten auf Fragen, die sie interessieren, aus solchen empirischen Daten entnehmen können.

Hier einige Auszüge aus den protokollierten Niederschriften:

  • Die auf der Flucht in die sowjetische Zone bei Dresden geratenen donauschwäbischen Flüchtlinge sagten aus: “Dann wurde (von den Russen, Anm. d. Verf.) beschlossen, dass wir nach Jugoslawien zurückkehren sollten. Wir wurden in Waggons gesteckt und in ein Lager in Jugoslawien gebracht. Dieses Lager hieß Gakowa.”
  • Auf dem Weg ins Lager: “Immer wieder wurden wir von Einheimischen behindert, die uns bespuckten, uns Schimpfnamen gaben und uns mit Gegenständen bewarfen. Mit gebücktem Haupt schlichen wir an ihnen vorbei. Das war der schwerste Augenblick in meinem Leben.”
  • “Nochmals mussten alle durch ein Spalier gehen, nochmals mussten wir unsere Sachen liegen lassen. Wiederum wurde alles (nach Wertsachen, Anm. d. Verf.) durchwühlt.”
  • Eine andere Zeitzeugin berichtete: “Dann nahmen sie uns die Ohrringe weg, genauso Ringe und Kettchen. Dabei waren all diese Wertgegenstände für uns doch Erinnerungsstücke.”
  • “Wenn jemand starb, wurden dessen Sachen verhökert. Auch wir nahmen an diesem traurigen Handel teil.”
  • “Die erbettelte Scheibe Brot war kostbarer als jene zu Hause mit Marmelade bestrichene.”
  • “Die Frauen litten am meisten, denn sie sahen, dass ihre Kinder hungrig waren und sie nicht helfen konnten.”
  • “Wir mussten damals auch betteln. Viele der Gefangenen wurden umgebracht, weil die Wächter dachten, dass sie fliehen wollten.”
  • “Noch dazu waren alle Mahlzeiten ungesalzen. Es gab kein Salz.”
  • “Dort machten Wanzen, Typhus und Hunger uns Gefangenen das Leben zur Hölle. Tagtäglich starben Menschen.”
  • “Als er starb, suchten wir ein altes Stück Stoff. In diesen Fetzen wickelten wir ihn ein und warfen ihn am nächsten Morgen auf den Wagen. So wie die Schinder sonst durchs Dorf gingen, um verrecktes Geflügel und Schweine abzusammeln…”>
  • Im Kinderheim: “Das war ein trauriger Ort. Die Kinder trugen Täfelchen mit Namen. Viele Kinder konnten nicht reden. Sie wussten nicht einmal ihren richtigen Namen. Niemand wusste, wer ihre Eltern waren.”
  • Nach gescheitertem Fluchtversuch: “…dort wurden wir in einen Keller gesperrt. Das Wasser im Keller reichte uns bis zu den Knien.”
  • “Alle Lagerkommandanten waren Bestien. Ohne Rücksicht darauf, ob einer aus Gakowa, aus Kruschiwl, aus Werbaß oder Kutzura stammte, sie waren doch alle gleich brutal gesinnt.”
  • “Im Jahr 1948 wurde damit begonnen, die Lagerinsassen freizulassen. Sie sollten auf Gütern in der Batschka und dem Banat arbeiten.”
  • _”Es war nicht erlaubt in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen. Wenn die Kolonisten (neu angesiedelte Serben, Anm. d. Verf.) deutsche Worte hörten, verfluchten sie uns.”_
  • “Mein Mann war zwar Deutscher, bezeichnete sich selbst aber als Kroaten, um sich seinem gesellschaftlichen Umfeld anzupassen.”
  • “… denn die dorthin als Kolonisten zugezogenen Montenegriner verstanden überhaupt nichts von der Landwirtschaft.”
  • “Die neuen Besitzer waren nachlässig. Viel Vermögen, das die Deutschen durch Jahrhunderte geschaffen, gehütet und erhalten hatten, wurde vernichtet.”
  • “Bei uns Deutschen wusste man: Auf das Feld geht man um drei, halb vier Uhr morgens und gearbeitet wird bis zum Abend. Die neuen Besitzer dagegen versammelten sich zwischen neun und zehn Uhr und trugen die Fahne an der Spitze der Kolonnen und zogen singend aufs Feld. Dann kamen sie schneller zurück, als sie fortgegangen waren. So kann man ein Land nicht bewirtschaften.”
  • “Sogar als wir das Lager längst verlassen hatten und ich verheiratet war, träumte ich noch sehr lange davon, dass ich im Lager gefangen war und weinte.”
  • “Niemand von den Verwandten konnte ich einweihen. Alle wanderten nach Österreich, Deutschland, Amerika und Frankreich aus. Diese Menschen haben bis heute noch Heimweh und mögen Jugoslawien.”

Diese Auszüge aus verschiedenen Interviews könnte man beliebig fortsetzen. In ihrer Aussage wiederholen sie sich mit anderen Worten. Daraus können Historiker ihre Erkenntnisse sammeln. Vor allem widersprechen diese Aussagen den Behauptungen jugoslawischer Historiker, wie zum Beispiel jener: Die neuen Machthaber verbrachten die Deutschen in Internierungslager, um sie nach Deutschland und Österreich abzuschieben, was die Alliierten verhindert hätten. Eine plumpe Rechtfertigung für die Lager. Warum brachte man die nach Deutschland geflohenen Flüchtlinge nach Jugoslawien zurück, wenn man sie doch abschieben wollte? Warum erschoss man Menschen auf der Flucht oder nahm sie gefangen und bestrafte sie hart? Warum ließ man sie nicht einfach laufen?

Zu dem Hungertod in den Lagern wurde mit der Behauptung entgegnet: Allen Menschen in Jugoslawien ging es damals schlecht. Dass es ihnen wegen der Misswirtschaft schlecht ging und es Menschen außerhalb der Lager nicht so schlecht hatten und nicht einen Hungertod starben, verschweigen sie.

Die Donauschwäbinnen stellen unweigerlich die Frage nach individueller und kollektiver Schuld. Frau Radović sagt dazu: “Wenn dieses Buch einen Dienst leisten soll, dann diesen, dass es die Sinnlosigkeit und Ungerechtigkeit der kollektiven Schuld bloßstellt, die das deutsche Volk ertragen musste. Das bezieht sich auch auf uns Serben. Diese Frauen sind unschuldig. Ihnen hat der Zweite Weltkrieg ihre Liebsten geraubt und ihnen nichts Gutes gebracht. Dieses Buch trägt die Botschaft, dass man das Böse nicht mit Bösem vergelten soll. Man muss wirksamere Mechanismen finden, wo es keine Sieger und Besiegte gibt”. Das ist eine christliche Einstellung einer Autorin, die als Atheistin gilt.

Frau Radović ist auch fest überzeugt, dass sich das politische Leben ohne eine größere Anzahl von Frauen in der Politik nicht verändern kann. Die Frauen haben ihrer Meinung nach eine bessere Perspektive, als die männlich geprägte, eroberungsorientierte Zivilisation, deren Prämissen der Wettbewerb und der Krieg seien. Sie sieht die Entwicklung der Demokratie in Serbien im Zeichen dieses männlichen Elementes und fordert die Frauen auf, es nicht zuzulassen, dass die Männer die Herrschaft unter sich aufteilen. Ihr Buch beschreibt eine Zeit voller ideologischer Verwirrungen und Verirrungen, sowie Missbrauch von Macht, Selbstgerechtigkeit und menschlicher Willkür; - und immer alles unter der Prämisse, dass nur so eine bessere, gerechtere Welt geschaffen werden könne. Das Schicksal dieser zwölf Frauen hat sich tausendfach ähnlich zugetragen. Es mahnt uns daraus zu lernen, unsere Schlüsse zu ziehen, wachsam zu sein und aufzupassen, dass sich die leidvolle Geschichte nicht wiederholt.

Das Buch Donauschwäbinnen, Frauenschicksale aus der Wojwodina nach 1941, ein gemeinsames Werk der Schriftstellerinnen Nadežda Radović, Dobrila Sindjelić-Ibrajter und Vesna Weiss, wurde von Prof. Johann Holik, zusammen mit seiner Tochter Elisabeth aus dem Serbischen ins Deutsche übersetzt und vom Donauschwäbischen Kulturzentrum im Haus der Donauschwaben in Salzburg 2010 veröffentlicht.
ISBN 978-3-901378-28-7,
Preis 19,80 €.

2012-02-27