Endlich auf Deutsch: Roman über die Verbrechen in der Dreilaufergasse

Bugarcic, Dragi: Dreilaufergasse.- Sersheim 2010. 214 Seiten.
Roman. Aus dem Serbischen übersetzt von Goran Miletic. Oswald Hartmann-Verlag.
Zu beziehen per ePost: (Oswald.Hartmann@t-online.de)[mailto:Oswald.Hartmann@t-online.de]

Im Rahmen der Studientagung des St. Gerhards-Werks in Stuttgart am 30. Oktober 2010 stellte Stefan Teppert das nun endlich auch in deutscher Sprache erschienene Werk des serbischen Schriftstellers Dragi Bugarcic vor. Bereits 2006 wurde der Roman in Belgrad auf Serbisch unter dem Titel “Sporedna ulica” (Nebengasse) veröffentlicht. Der Roman verfügt über eine hohe literarische Qualität und zudem über einen für die Donauschwaben sehr bedeutsamen Inhalt. Im Mittelpunkt stehen nämlich die Verbrechen an den Bewohnern in der Dreilaufergasse in Werschetz (Vrsac) im Banat.

Teppert vermittelt einen Eindruck über die Darstellung dieser Geschehnisse im Roman, wenn er vorträgt:

“Die Russen haben die Stadt von allen Seiten umstellt, man hört den dumpfen Donner der Katjuscha. Dann rollt die Rote Armee durch die Straßen. Nach ihrem glorreichen Einmarsch verschwinden die Bewohner zur Zwangsarbeit und hinterlassen eine gespenstische Leere. Die Sieger ziehen saufend durch die Häuser, vergewaltigen die zurückgebliebenen Frauen. Als ein russischer Major von einer Sauftour nicht zurückkommt, durchkämmen seine Kameraden die Häuser, entdecken seinen Leichnam schließlich vergraben in einem Misthaufen. Er wurde erschlagen, als er sturzbetrunken seine unfreiwillige junge Wirtin vergewaltigen wollte. Deren im Hof versteckter Bruder war ihr zu Hilfe geeilt. Das eigentliche Verbrechen ist nun aber die schändliche Rache dafür, nämlich die Erschießung aller Bewohner der Dreilaufergasse, mehr als hundert Menschen.”

Im von der Donauschwäbischen Kulturstiftung herausgegebenen “Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien” (Band 1. Ortsberichte. München/Sindelfingen 1991. – mehr darüber unter dem Menüpunkt “Publikationen”) ist hierzu auf Seite 358 zu lesen:

“Nachdem ein versteckter deutscher Soldat im Hause von Viktoria Geringer einen russischen Major erschossen hatte, wurde am 13. Oktober 1944 eine große Anzahl aus den Weingärten heimkehrender deutscher Weinbauern festgenommen und am nächsten Tag (14. Oktober) in der Dreilaufergasse erschossen. Die Namen von 81 Getöteten sind bekannt, Johann Bless hat nach eigenen Angaben (er mußte den Partisanen helfen) 124 Tote auf Wagen aufgeladen. Die Augenzeugin Maria Nadaschdy geb. Seemayer schildert in einem handgeschriebenen Brief vom 2. September 1981 das Furchtbare: ‚ … sie waren in Unterhosen und ohne Schuhe, mußten sich niederknien und wurden mit Kopfschuß von hinten erschossen … so spritzte Hirn und Blut bis zur anderen Seite der Häuser an die Wände. Gleich anschließend kamen Sanitätswagen mit Zigeunern und Partisanen, die mit Jubel die toten Männer an Händen und Füßen packten und auf die Wagen warfen. Die ebenfalls erschossene Frau Geringer wurde mit ausgebreiteten Armen auf den Wagen gebunden und so weggeschleift …”.

Nun weitere Zitate aus der Buchvorstellung von Stefan Teppert – enthalten in den Donaudeutschen Nachrichten Folge 6, Dezember 2010, S. 22-24:

“Das Generalthema dieses Romans reicht von der Ansiedlung der Deutschen in der Vojvodina am Ende des 18. Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung und Auslöschung von 1944 bis 1948. Im Mittelpunkt steht aber das dann über ein halbes Jahrhundert währende Schweigen über ihre ehemalige Anwesenheit wie auch ihr Verschwinden aus dem Land. Dabei bleiben die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht nicht ausgeblendet, sondern bilden den Hintergrund für eine systematisch betriebene und ausgesucht grausame Vergeltung, für den Genozid an den Deutschen Jugoslawiens. Einem staatlich verordneten Credo gelingt es bis heute, dieses Nachkriegsverbrechen aus dem Gedächtnis der jugoslawischen Völker wie auch der übrigen Welt zu verbannen. Doch hat die nie ganz unterbrochene konspirative Überlieferung des Ungeheuerlichen eine komplette Gehirnwäsche verhindern können. Dennoch durfte keiner ungestraft über die Greueltaten der Partisanen publizieren oder öffentlich reden. Parteien, einflussreiche Gruppen und mächtige Einzelpersonen diktierten eine kraß schöngefärbte Version der eigenen Vergangenheit. Um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, nimmt der Romanautor Dragi Bugarcic durch die Einführung mehrerer Erzählebenen mehrfachen Anlauf. …

Alle Erzählebenen münden am Ende des Romans in die sozusagen nunmehr voll orchestrierte finale Apokalypse der Donauschwaben: einerseits in der Werschetzer Dreilaufergasse, dann im größten Vernichtungslager Rudolfsgnad, schließlich ausgedehnt auf den ganzen Archipel GuLag der Vojvodina. Das Grundmotiv des Völkermords an der deutschen Volksgruppe in Titos Jugoslawien wird multiperspektivisch dargestellt, man könnte geradezu sagen: eingehämmert. …

Der Knoten des Romans ‚Dreilaufergasse’ schürzt sich am Ende so unentrinnbar, als sollte dem Leser kein Schlupfloch zugestanden werden, die grauenhaften, über mehr als zwei Generationen tabuisierten Ereignisse weiterhin zu verdrängen oder zu verschleiern. Sie stehen nun mit voller Wucht am Tageslicht, allen sichtbar, empathisch und beredsam, gewissenhaft und ungeschminkt, ohne Unterschlagung, ohne Verharmlosung. Daß es ein Serbe ist, der diesen Stoff ausgräbt und nicht nur wohlinformiert darstellt, sondern auch vielstimmig und kunstvoll verwoben, in einer berührenden, nachdenklich stimmenden Form erzählt, ist alles andere als eine Beiläufigkeit. Es ist die Pforte zu einem historischen Durchbruch. Mit bisher nicht dagewesener Ehrlichkeit und historischer Tiefenschärfe werden die dämmrigen Zonen einer abträglichen Desinformationspolitik ausgeleuchtet. Allein die Gedanken über Kriegsvermeidung und Friedenserhaltung machen die Lektüre dieses Romans obligatorisch. Fazit: Feige Übeltäter, die ihrer Strafe entkommen, erhalten so wieder ausreichend Zeit, um anderswo neue Konflikte anzuzetteln und über unschuldige Opfer hinwegzutrampeln. Genau dies ist auf dem Balkan geschehen.

Dragi Bugarcic hat mit diesem Roman unserem donauschwäbischen Schicksal, unseren Toten, aber auch der verleugneten Vergangenheit seines Landes ein großes, erschütterndes Denkmal gesetzt. Damit hat er zugleich für die Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben einen strahlenden Beitrag geleistet. Für diese Tat brauchte er nicht allein gesellschaftliche und politische Verantwortlichkeit, sondern auch bewundernswerten Mut und, nicht zuletzt, dichterisches Format.”

Biographische Daten von Dragi Bugarcic

Dragi Bugarcic
Dragi Bugarcic bei einer Lesung in Deutschland

  • 1948 in Werschetz geboren
  • Studium an der Philologischen Fakultät in Belgrad
  • lebt und arbeitet in Werschetz und Belgrad
  • erster literarische Veröffentlichung bereits 1966
  • inzwischen elf Romane veröffentlicht
  • mehrere Literaturauszeichnungen
  • 22 Jahre beim Belgrader Verlag NOLIT
  • Redakteur für Prosatexte bei Literaturzeitschriften “Polja” in Neusatz (Novi Sad) und “Knjizevna rec” in Belgrad
  • Mitglied der Herausgeberrates im Verlag KOV in Werschetz
  • Mitbegründer (1995) und Präsident von “Vrsac lepa varos”, einem Verein der Freunde von Werschetz
  • Gründungsmitglied (1999) und Vorsitz des Vereinsvorstandes von “Drustvo srpsko-nemacko-austrijskog prijateljstva”, dem Verein der Serbisch-Deutsch-Österreichischen Freundschaft
  • Mitbegründer (1999) eines Dokumentationszentrums für den Werschetzer Lyriker Vasko Popa in Belgrad

Die Ausgaben der “Donaudeutschen Nachrichten – Mitteilungen für die Banater Schwaben, Donauschwaben und Deutschen aus Ungarn”, dem Organ der Donaudeutschen Landsmannschaft in Rheinland-Pfalz, können im Internet abgerufen werden unter: www.donaudeutsche-speyer.de

2010-12-30