_In den Mitteilungen für die Donauschwaben in Oberösterreich (hrsg. von der Landsmannschaft der Donauschwaben in Oberöstereich: www.donauschwaben-ooe.at) erschienen in den jüngsten Ausgaben eine Reihe an Erlebnisberichten aus den Vernichtungslagern für Donauschwaben im ehemaligen Jugoslawien. Diese – sowie das nun folgende Vorwort – wurden daraus entnommen._
Das Jahr 1945 und die Monate Januar, Februar und März 1946 waren die Zeit des Völkermords an den Donauschwaben Jugoslawiens. Völkermord liegt nach der UNO-Erklärung vor, wenn man eine Gruppe als solche mit Absicht “zerstört” (“destroy”).
Neben den Erschießungen des Herbstes 1944 geschah die Zerstörung der Gruppe der Donauschwaben in den Lagern. Daher ist es berechtigt, bis Februar 1946 von “Vernichtungslagern” zu sprechen. Von da ab gab es diplomatische Gesuche Jugoslawiens an die Alliierten, die Donauschwaben “aussiedeln” zu dürfen. Man kann von da ab mit Vorbehalt von “Todeslagern” sprechen, und vom einsetzenden Willen des Partisanenregimes, auf eine “ethnische Säuberung” überzugehen. Eine Aussiedlung nach Deutschland wurde aber von den Alliierten Mächten nicht gewährt. So erfuhren die anfänglich acht Todeslager erst Anfang 1948 ihre Auflösung.
Für alle, die über die Vernichtungslager nicht näher informiert sind: Mit Ausnahme der “Seidenfabrik” in Syrmisch Mitrowitz waren es donauschwäbische Dörfer, die mit Tausenden Menschen überbelegt waren, nicht von Stacheldraht umzäunt waren, die aber von Partisanen oder Milizionären rund um die Uhr bewacht wurden. Die Wachen hatten ihre Standorte in hundert und mehr Meter Abständen. Nur das machte es möglich, dass Lagerleute in der Nacht versuchten, zwischen den Wachen durchzuschleichen und in Einzelgehöften oder in bestimmten Häusern der Nachbardörfer Lebensmittel zu erbetteln, einzutauschen oder durch Arbeit zu erwerben.
Schon im Juni 1945 war die Hungersnot im Lager Gakowa sehr groß. Das Betteln in den Nachbardörfern war streng verboten. Wer dabei erwischt wurde, kam in den berüchtigten “Keller” beim Kommando und es konnte ihm passieren, dass er eine Schaufel bekam, auf den Friedhof geführt wurde, wo er sich ein Grab schaufeln musste und hineingeschossen wurde. Die Insassen waren aber schon so ausgehungert, dass sie immer wieder in der Nacht den Versuch machten, zwischen den Posten durchzuschleichen, in der Hoffnung, nicht erwischt zu werden. Vor allem waren es Frauen, die sich aus dem Lager schlichen, um Bettelgänge zu machen. Vielfach handelte es sich dabei um Tauschgeschäfte. Man arbeitete bei einem Bauern, um sich ein Abendessen zu verdienen und tauschte Kleider von Verstorbenen für Lebensmittel um. Des Nachts versuchte man wieder ins Lager einzuschleichen. Die bäuerliche Ungarin, von der im Bericht die Rede ist, war offenbar auf die besagten Tauschgeschäfte spezialisiert.
Manche holten sich die Kraft zu diesem wiederholten gefährlichen Unternehmen aus dem Gebet, namentlich dem Rosenkranzgebet.
Anna Gräff geb. Mattes aus Filipowa schreibt: “Bis es finster wurde, arbeiteten wir (Sie waren zu fünft, Anm. W.) bei der Ungarin. Am Abend bekamen wir ein Essen. Nach dem Essen sind wir wieder in unser Elendslager nach Gakowa mit viel Herzklopfen. Unterwegs hatte ich immer meinen verlässlichsten Begleiter im “Rocksack” (In den Rock der ländlichen Tracht war eine Tasche eingenäht, Anm.W.), den Rosenkranz. Gott allein weiß, wie viele Rosenkränze wir unterwegs zusammen oder allein gebetet haben. … Wir waren sehr oft betteln. Immer sind wir gut mit unseren Lebensmitteln ins Lager gekommen. Manche haben gesagt, sie wollten mit mir gehen, weil ich immer so gut durchgekommen bin. Damals wie heute noch bin ich fest davon überzeugt, dass das viele Rosenkranzbeten beim Betteln uns immer geholfen hat. Wenn ich die eine Hand im “Rocksack” gehabt habe, dann hielt ich den Rosenkranz. Mit Beten und wieder Beten haben wir das Betteln gut überstanden und die schwere Zeit in Gakowa überlebt.”
Quelle: Filipowaer Heimatbriefe Nr. 12(1969) 15f. und Paul Mesli/Franz Schreiber/Georg Wildmann, Filipowa - Bild einer donauschwäbischen Gemeinde, Bd. VI: Kriegs- und Lageropfer, Wien 1985, S. 193f.
Susanne Harfmann, Lager Jarek, Batschka, heutiges Serbien, berichtet: “Kurz bevor wir nach Kruschiwl (Kruševlje, damals Vernichtungslager in der Nordbatschka, heute verschwunden) verlegt wurden (April 1946), haben wir vier Frauen, die wir in einem Zimmer zusammen waren, beschlossen, betteln zu gehen. In der Früh um vier Uhr, als es noch dunkel war, machten wir uns auf den Weg nach Temerin. Wir waren zwei Frauen von Palanka sowie Elisabeth Jung, geb. Jakob und ich. Auf dem Rückweg begann es zu regnen. Die Erde fing an, an meinem Schuhwerk zu kleben und hängenzubleiben. Ich mußte immer öfter anhalten, die Schuhe ausziehen und den Lehm abstreifen. So hatte ich bald die drei anderen verloren. Während des Heimweges hörte ich des öfteren Gewehrschüsse. Dies war alltäglich, man dachte sich nichts mehr dabei. Am nächsten Tag kamen zwei Partisanen und durchsuchten die Häuser, um festzustellen, ob jemand fehlte. Meine drei Zimmergenossinnen waren noch nicht eingetroffen. Ich mußte mit den Partisanen gehen. Nur 50 Meter von Jarek weg lagen drei Frauen… Es waren meine Zimmergenossinnen… Sie waren von Gewehrsalven durchsiebt. Neben einer jeden lag noch das Bündel mit dem erbettelten Essen, das sie für sich, insbesondere aber für ihre unterernährten Kinder, besorgt hatten”. (Siehe Georg Wildmann, Donauschwäbische Geschichte, Band IV, S. 451, hrsg. von Donauschwäbischer Kulturstiftung. Mehr hierzu unter dem Menüpunkt “Publikationen”.)
Der Tod in Jarek: Von 2. Dezember 1944 bis 15. April 1946 gab es mindestens 7.000 Todesfälle, von ihnen sind 5.240 in: Donauschwäbische Kulturstiftung, Arbeitskreis Dokumentation, Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien, Band IV: Menschenverluste – Namen und Zahlen, namentlich dokumentiert. Mehr hierzu unter dem Menüpunkt “Publikationen”.
Georg Offenbächer (27.01.1930 – 01.07. 2005) berichtet. “Es herrschte Winter im Todeslager Gakowa. Der Winter 1945-1946, war ein schrecklicher Winter, denn es gab kaum eine Möglichkeit zum Betteln zu gehen. Der Schnee lag tief und man konnte sich nirgends verstecken, da alle Blätter von den Bäumen abgefallen waren und eine kahle Landschaft hinterließen. Die Titopartisanen hatten das einst verträumte Dörfchen Gakowa in eine Hölle auf Erden verwandelt, wo wir zusehen mussten, wie der Eine und der Andere dahinsiechte. Hatten wir im Sommer die Möglichkeiten, uns aus dem Lager zu schleichen, um bei Bauern zu arbeiten und betteln zu gehen, so gab es jetzt nur eines: beten und hoffen, dass wir diese schweren Zeiten überleben.
Die Bretterzäune und Dachbodenlatten waren schon längst für Brennholz aufgebraucht und es wurde täglich kälter. Nun waren wir froh, wenn wir ein paar Bohnen, eine Blättchen Kraut oder ein Stückchen Kartoffel in der Einbrennsuppe fanden. Es gab jetzt Kuhrüben, die zum größten Teil bereits angefault waren, und hartes schimmeliges Maisbrot zum Essen. Das Brot war hart genug, um dem Tito ein Loch in den Kopf zu schlagen, so sagten die Leute.
Täglich starben nun mehr und mehr Menschen. In den Massengräbern häuften sich die Leichen. Auf dem Friedhof war kein Platz mehr für die Toten. Es wurde ein großes Massengrab hinter dem Friedhof gegraben, und als dieses voll war ein zweites, später ein drittes und noch mehr. Der Geruch der Toten in den Massengräbern wurde von Tag zu Tag stärker und stärker, bis der Geruch das ganze Dorf und die Gegend weit darüber hinaus erfasste.
Einer der bekanntesten, grausamsten und dafür am meisten gefürchteten Lagerkommandanten war Grabić, auch Šuco (Schutzo) genannt, ein aus Syrmien stammender Partisan, der seine Kommandantur im September 1945 antrat und uns zehn Monate lang schikanierte. Unter seiner barbarischen Leitung gelang es ihm, vielen unserer donauschwäbischen Landsleute großen Kummer, Leid und Schmerzen hinzuzufügen, bis sie nicht mehr konnten.
Šuco war derjenige, der die vielen sinnlosen Hinrichtungen anordnete. Eines Tages mussten wir Kinder vor der Kirche antreten, um dort mehrere Stunden zu warten, bis zwei Partisaninnen aus dem Gefängnis kamen und sechs oder sieben Gefangene herausbrachten. Sie stellten Leute vor der Kirche auf und schossen sie mit ihren Maschinenpistolen erbarmungslos nieder. Die Kinder mussten danach die Toten auf den Wagen laden und zum Friedhof fahren. Auch diese grausame Tat, die sicherlich als abschreckendes Beispiel dienen sollte, konnte den Strom der Bettler nicht aufhalten. Wir hatten nur die Wahl, stehlen oder betteln zu gehen, um eine Möglichkeit zum Überleben zu haben – mit dem Risiko, dabei gefangen und erschossen zu werden - oder zu verhungern.
Auch Kindern blieb dieses Los erschossen zu werden nicht erspart. Als eines Tages 17 Kinder gefangen wurden, die vom Betteln nach Gakowa zurückkehrten, führte man sie am nächsten Tage zu den Massengräbern und ließ sie erbarmungslos erschießen. Das älteste der Kinder war 14 Jahre alt und das jüngste Kind war ein vier Jahre altes Mädchen, welches von seiner Schwester zum Betteln mitgenommen worden war.
Nach diesem Vorfall versuchten die Partisanen eine neue Methode. Jedesmal wenn ein Kind jetzt gefangen wurde, zwangen sie dieses Kind den Partisanen zu sagen, wer und wo seine Angehörigen sind. Auf diese Weise wurden jetzt die Angehörigen der Kinder bestraft. Mein Bruder Jakob, der heute im State New York wohnt, war damals gerade 10 Jahre alt, als er von den Partisanen erwischt wurde. Man versuchte in zu zwingen, den Namen seiner Mutter zu nennen. Er jedoch verweigerte dies zu tun, und wurde daraufhin an den Beinen festgebunden und in einen Brunnen hinunter gelassen, bis sein Kopf unter dem Wasser war. Man zog ihn dann wieder hoch. Aber immer wieder verweigerte er es, den Namen seiner Mutter preiszugeben. Erst als er dem Tode nahe war, ließ man ihn laufen. Heute noch leidet Jakob gesundheitlich von diesem Vorfall.
Ich war damals ein fünfzehnjähriger Bursche, und mit meinen beiden Brüdern, meiner Schwester, Mutter und anderen Verwandten in dieser Hölle. Ich schlich mich aus dem Lager und wurde zum Glück von einer guten Frau zum Arbeiten aufgenommen. So konnte ich meiner Familie helfen zu überleben”.
Der Tod in Gakowa: Vom 12. März 1945 bis Anfang Januar 1948 gab es rund 8.500 Todesfälle, davon sind 5.827 namentlich dokumentiert in: Donauschwäbische Kulturstiftung, Arbeitskreis Dokumentation, Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien, Band IV: Menschenverluste – Namen und Zahlen. Mehr hierzu unter dem Menüpunkt x “Publikationen”.
Lorenz Baron, Gehilfe des Elektrikers Weißmann, berichtet aus dem Lager Rudolfsgnad (Knićanin, West-Banat, heute Serbien): “Wir bekamen Ende 1946 den Auftrag, im sogenannten Kinderheim Licht einzuführen. … Das Kinderheim, Wittmans Tanz- und Kinosaal, war ein im Hof stehendes Gebäude mit gewölbtem Blechdach. Der Saal hatte große Fenster und war … ca. 25 x 25 m groß. Von Nord nach Süd lagen etwa sechs einen Meter breite Strohreihen von Wand zu Wand, in der Saalmitte war ein Quergang. Beim Eintreten hörte man ein monotones Summen, die höheren Töne wurden von den tiefen eingebunden. Das war das Lied vom Kindertod! Alle Räume des großen Hauses waren voll von wehrlosen, sterbenden Kindern.
Ohne menschliches Gefühl, wie ein Toter, stieg ich auf die Steigleiter und schraubte Porzellan-Isolatoren … in die Querbalken … Manche Skelette unter mir konnten sich noch bewegen und verfolgten jeden Handgriff, den ich ausführte. Manche Kinder fielen zurück - ihr Blick war noch auf mich gerichtet – und waren tot. Mitleid gab es von niemandem, wußten wir doch, daß wir die nächsten Toten sein konnten.
Einige Schwestern waren damit beschäftigt, die Leichen aus den Reihen auszusortieren, diese auf einen Tisch zu legen, in Stoff-Fetzen einzunähen und danach auf den Leichensammelplatz zu bringen.
Frau Anna Path aus Ploschitz schrieb drei Tage vor ihrem Tod einen erschütternden Abschiedsbrief aus dem Vernichtungslager Rudolfsgnad, der mit 30. April 1946 datiert ist und – so darf man vermuten – an ihre Tochter gerichtet war.
“Liebes Kind Sefi, vor allem bist Du sehr gegrüßt und geküsst, liebes Kind. Ich tu Dir zu wissen, daß ich schon zwei Briefe erhalten habe, aber ich kann niemand fragen, wie ich Dir ein Zeichen könnt geben, liebes Kind. Ich habe Deine Kinder nicht!
Ich habe sie in gutem Zustand gehalten, liebes Kind. Als wir von Mramorak fort sind, hatten der Paul und die Maria Röteln. Ich habe sie gut verborgen und auf sie acht gegeben, denn sie waren krank. Aber in Mramorak waren die Kinder fidel. Die Wawi, die Brit, sie haben sie alle angesteckt. Pauli ist am 13. Januar nachts um 2.00 Uhr gestorben, der Pauli liegt neben dem Novak Blasi-Vetter und neben Janosch Großvater. Die Wawi ist am 2. März nachmittags um 3.00 Uhr gestorben, auch der Andres, unser armer kleiner Andres, ist gestorben. Mit ihm ist auch Plonschi Basl gestorben. Der Ged und die Godl sind auch gestorben. Ebenso starben Stephan Vetter und die Agatha Basl.
Liebes Kind, ich tu Dir zu wissen, daß ich auch schwer krank bin. Wenn Ihr meine Karte bekommen habt und Ihr noch einmal zusammenkommt, wenn Ihr in die Heimat kommt, Ihr Geschwister, so wollte ich Euch bitten, gebt einem armen Menschen den ersten Teller voll zu essen, liebes Kind, weil ich hungrig von dieser Welt gehen muß, liebes Kind.
Ich bitte Euch, den Joschi, den Toni, den Martin und Christoph, sie sollen doch ihre arme Schwester Kathi nicht vergessen, sie sollen so gut sein und sich ihrer annehmen, liebes Kind.
Ich hätte gerne noch leben wollen; daß ich noch einmal meine Lieben hätte sehen können, wenn ich dann auch gleich hätte sterben müssen. Das ist mein einziges Verlangen. Sagt allen Freunden und Bekannten, ich lasse grüßen. Und wenn Ihr Speck und Brot eßt, so denkt an mich, an Eure arme Mutter. Er ist fort, mein Appetit. Lebt alle wohl und vertragt Euch, alle Geschwister. Das ist mein letzter Wunsch.”
Der Tod in Rudolfsgnad: Im Februar 1946 ist mit 1.346 Verstorbenen ein Höchststand an Todesfällen erreicht worden. Am 4. Februar 1946 wurde das Maximum der Todesfälle an einem einzigen Tag verzeichnet: an diesem Tag haben 72 deutsche Menschen im Vernichtungslager Rudolfsgnad den Tod gefunden. An den Folgen des Fleckfiebers, der Grippeepidemie sowie an Unterernährung und unmenschlicher Behandlung durch die serbischen Partisanen sind bei einem durchschnittlichen Lagerstand zwischen 17.000 und 20.000 Personen vom 10. Oktober 1945 bis Mitte März 1948 rund 11.000 Landsleute zum Großteil qualvoll zugrunde gegangen. Von ihnen sind in Band IV, Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien (hrsg. von Donauschwäbischer Kulturstiftung), 7.767 namentlich verzeichnet. Der Gesamtbericht über die Vernichtungslager findet sich in: Georg Wildmann, Donauschwäbische Geschichte, Band IV, S. 417-536, hrsg. von Donauschwäbischer Kulturstiftung. Mehr zu den beiden genannten Veröffentlichungen unter dem Menüpunkt “Publikationen”.
2015-08-30