Zuversicht verbreitete Prof. Dr. Gerhard Seewann, Inhaber des Stiftungslehrstuhles für deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa in Fünfkirchen (Pécs), im Januar 2013 im Hinblick auf die Zukunft der Donauschwaben in Ungarn. Er habe keinen Zweifel, dass die in der Geschichte schon häufig totgesagte deutsche Minderheit in Ungarn fortbestehen werde. Seewann durfte sich bestätigt fühlen, als kurz darauf die Daten der Volkszählung aus dem Jahre 2011 veröffentlicht wurden. Demnach bekannten sich 130 000 Personen zur deutschen Nationalität. Bei der vorherigen Volkszählung im Jahre 2001 waren es gerade mal 62 000 gewesen. Weitaus pessimistischer äußerte sich Dr. Meinolf Arens, Osteuropa-Historiker und Ethnologe, nun am 28. November 2013 im Münchner Haus des Deutschen Ostens im Rahmen eines mit Politikwissenschaftlerin Mirjana Ivancic gemeinsam gehaltenen Vortrags zum Thema “Die Autonome Provinz Vojvodina seit der Wende 2000” bezüglich der Donauschwaben in Serbien: “Die deutsche Minderheit ist überaltert und wird in zehn, zwanzig Jahren in der Vojvodina auf einige Hundert geschrumpft sein. Die Sprachkenntnisse sind gering. Ich sehe keine Zukunft.”
Darüber könne auch der minimale Zuwachs nicht hinwegtäuschen. Dem Statistischen Amt der Republik Serbien zufolge bekannten sich bei der Volkszählung im Jahre 2011 insgesamt 4064 serbische Staatsbürger als Deutsche. Davon entfielen 3272 Personen auf die Vojvodina. Bei der Volkszählung im Jahre 2002 waren es nur 3901 Personen gewesen, die sich in der Republik Serbien als Deutsche deklarierten. Den kleinen Anstieg erklärte Dr. Arens mit dem Wechsel einiger Personen von der ungarischen zur deutschen Nationalität. Diese Menschen, die zum großen Teil Mischehen entstammen, hatten sich bislang nicht getraut, sich als Deutsche zu bezeichnen, erfuhren wegen der Tabuisierung der eigenen Familiengeschichte erst in den letzten Jahren von ihren donauschwäbischen Wurzeln - siehe hierzu den Beitrag auf unserer Internetseite im “Archiv” unter: “Mein Vater sagte mir, ich wäre ein Ungar” - Neunte Station der Film-Tour in Kikinda - oder waren der Streitigkeiten innerhalb der ungarischen Minderheit überdrüssig.
Die Friedenskirche in Karlowitz (Syrmien/Vojvodina) erinnert an den Frieden von Karlowitz 1699, mit dem der Große Türkenkrieg (1683-1699) beendet wurde - Foto: Erich Hemmel
Dass sich Angehörige der deutschen Minderheit in stärkerem Maße zu ihren Wurzeln bekennen, hängt auch damit zusammen, dass sich die alteingesessene Bevölkerung in der Vojvodina durchaus der Vergangenheit ihrer Region bewusst ist und sich mit dem donauschwäbischen Erbe vermehrt beschäftigt. Dazu muss man wissen, dass sich die heute in der Vojvodina lebenden Serben aus vier verschiedenen Gruppen speisen. Erstens sind das diejenigen, die bereits vor 1918 dort ansässig und eine multikulturelle Umgebung gewohnt waren, zweitens die Kolonisten der Zwischenkriegszeit, Weltkriegsveteranen, die eine ethnisch reine Vojvodina präferierten, drittens die von den Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelten Menschen und viertens die in den 1990er Jahren ankommenden Personen aus dem Kosovo, Kroatien und Bosnien. “Die Erinnerungskultur bezüglich der Donauschwaben stößt bei den Serben, deren Familien schon vor 1918 in der Vojvodina lebten, eher auf Interesse. Schwieriger ist es bei der zweiten, dritten und vierten Gruppe. Am einfachsten mit Gedenktafeln für die Donauschwaben ist es dort, wo die ungarische und kroatische Minderheit stark ist”, erläuterte Dr. Arens.
Aus dem Vortrag von Mirjana Ivancic über die Vojvodina am 28. November 2013 im Münchner Haus des Deutschen Ostens - Foto: Erich Hemmel
Es ist also durchaus ein Potenzial für deutsche Kulturvereine vorhanden. Und so kommt es, dass beispielsweise der 1999 gegründete deutsche Verein St. Gerhard in Sombor in der Batschka (mehr darüber unter: /www.gerhardsombor.org) mit inzwischen 700 Mitgliedern zu den “aktivsten, größten und vorbildlichsten” in der Vojvodina zählt, wie Stefan Barth, 2. Vorsitzender der Donauschwäbischen Kulturstiftung, versichert (siehe hierzu den Beitrag auf unserer Internetseite im “Archiv Serbien” unter Unterwegs mit serbischen Intellektuellen – Stefan Barth im TV-Interview). Ein Schwerpunkt der Arbeit des Vereins ist die Jugendarbeit, die mit Seminarangeboten, Deutschkursen, Freizeitangeboten, Schüleraustausch und Förderung von Stipendien ein breites Betätigungsfeld aufweist. Bei seinem Besuch im Juni 2013 beobachtete Barth, wie Jugendliche die Treppen, die auf einer Böschung zur Straße hinauf führten, von Unkraut säuberten. Auf seine Frage, “warum die Jugendlichen das machen”, antwortete der Vereinsvorsitzende Anton Beck: “Sonst macht es keiner und wir möchten mit gutem Beispiel vorangehen.” Das Somborer Lokalfernsehen berichtete darüber. Unter den 700 Mitgliedern befinden neben den heimatverbliebenen Donauschwaben laut Dr. Arens “viele Kroaten, Ungarn und Slowaken sowie auch einige Serben, die allesamt bei der Wende im Jahre 2000 der Opposition zum Milosevic-Regime angehörten”. So werde in diesem deutschen Begegnungszentrum auch häufig kroatisch und ungarisch gesprochen. “Manchmal war die Oma eines Vereinsmitglieds zur Hälfte Donauschwäbin. In jedem Falle haben diese Leute eine positive Beziehung zu den Donauschwaben”, berichtete Dr. Arens.
Leider stoßen lobende regionale Initiativen – mehr hierzu auf unserer Internetseite unter “Aktuelles aus Serbien” - bei der Zentrale in Belgrad auf wenig Gegenliebe. Problematisch ist das deshalb, weil die offiziell “Autonome Provinz” genannte Vojvodina de facto über keine Autonomie mehr verfügt, da Belgrad seit 2009 immer mehr Kompetenzen an sich zieht. So darf die Vojvodina keine eigene Vertretung mehr in Brüssel unterhalten und sich Neusatz (Novi Sad) nicht mehr Hauptstadt nennen. Mirjana Ivancic machte deutlich, dass das Wort “Autonomie” in Serbien ein belastetes Wort ist. Deshalb würden den Regionalpolitikern, die anders als Belgrad in ihrer großen Mehrheit einen pro-europäischen Kurs verfolgen, ständig Steine in den Weg gelegt. Die Bürgermeister verfügen im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen nur über geringe Kompetenzen, so dass diese regional so hoffnungsvollen Ansätze in der Minderheiten- und Erinnerungspolitik immer wieder ihre Grenzen finden. In Belgrad, so Dr. Arens, wäre kein Interesse zu erkennen, das kulturelle Erbe der verschiedenen Ethnien in der Vojvodina zu fördern: “Ein Drittel der Bevölkerung, also der nicht-serbische Anteil, kommt in der Erinnerungskultur nicht vor.” Zudem kritisierte der Historiker, dass noch immer in serbischen Schulbüchern die Donauschwaben nicht vorkommen würden. Hinter dieser serbisch-nationalen Politik stecke offenkundig auch die Furcht, bei einer stärkeren Dezentralisierung in der Vojvodina an Einfluss zu verlieren. Nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens sowie dem Verlust des Kosovo und Montenegro seien die Nationalisten in Serbien traumatisiert. Das Wenige, was geblieben ist, will man nun umso mehr behalten und eng an sich binden.
Die Referenten am 28. November 2013 in München: Mirjana Ivancic und Dr. Meinolf Arens - Foto: Erich Hemmel
Die Folgen dieser Haltung: 93 Prozent der Beamten, die in der Vojvodina Posten im mittleren oder höheren Dienst innehaben, sind Serben, obwohl diese nur zwei Drittel der Bevölkerung stellen. Alle Minderheiten – mit Ausnahme der bedeutungslosen deutschen – befinden sich auf dem Rückzug. Von den rund 1,9 Millionen Einwohnern bekannten sich bei der Volkszählung 2011 als Ungarn 251 136 (2002: 290 207), als Slowaken 50 321 (2002: 56 637), als Kroaten 47 033 (2002: 56 546) und als Rumänen 25 410 (2002: 30 419). Die junge Intelligenz der Minderheiten geht ins Ausland und studiert in Budapest, Zagreb oder Preßburg. Fazit: Die einst an verschiedenen Kulturen so reiche multiethnische Vojvodina, die auch wirtschaftlich bis in die Zwischenkriegszeit hinein in Europa führend war - verwandelt sich immer mehr in eine monoethnische Region, die gegenwärtig zu den ärmsten Regionen in Europa zählt. Sehr zur Verbitterung der alteingesessenen Bevölkerung, von der sich ein wachsender Teil mit Wehmut an die Anwesenheit der Donauschwaben erinnert und die Auslöschung der Deutschen als Tragödie betrachtet.
2013-11-30