Im Katalog zur Ausstellung “Daheim an der Donau. Zusammenleben von Deutschen und Serben in der Vojvodina” (Novi Sad: Muzej Vojvodine; Ulm: Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum, 2009) wird vom serbischen Historiker Dr. Zoran Janjetovic die “Behauptung der Donauschwaben”, sie wären Opfer eines Völkermordes geworden, rundweg abgestritten (S. 222). Laut Seite 72 des Kataloges legen “neue Forschungen” es nahe, daß der “Begriff Genozid (Völkermord)” auf unser Schicksal nicht zutrifft. Es gibt allerdings keine Hinweise auf diese angeblichen neuen Forschungen, ja es werden überhaupt keine Quellen genannt und es gibt auch keine professionelle Beweisführung für diesen Standpunkt. Stattdessen behaupten die Katalogverfasser, daß unser Schicksal nur “das Ergebnis einer gezielten ethnischen Säuberung” war.
Tatsächlich “behaupten” wir Donauschwaben nicht etwas aus dem hohlen Bauch heraus. Klare juristische Beweisführungen von international anerkannten Völkerrechtlern bilden die Basis unserer Argumentation. Allen voran sei der verstorbene Prof. Dr. Dieter Blumenwitz erwähnt, der ein Rechtsgutachten (1) speziell über unser Schicksal erarbeitet hat. Andere Arbeiten wie zum Beispiel die der Professoren Dr. Gilbert Gornig und Dr. Felix Ermacora stützen unseren Standpunkt. Von den vielen einschlägigen Arbeiten des weltweit renommierten US-amerikanischen Wissenschaftlers Prof. Dr. Alfred Maurice de Zayas sei hier nur auf eine seiner neuesten Veröffentlichungen verwiesen: “50 Thesen zur Vertreibung” (2). Diese im Vorjahr der Ausstellung “Daheim an der Donau” erschienene Broschüre kommt mehrfach zu der eindeutigen Schlußfolgerung, daß für das Schicksal der Deutschen aus Jugoslawien der Tatbestand des Völkermordes erfüllt ist. Gibt es wirklich noch “neuere Forschungen”, die Prof. Alfred de Zayas überzeugend widerlegen? Dann sollen die Ausstellungsmacher sie auf den Tisch legen!
In der UNO-Konvention vom 9.12.1948 zur Verhütung und Bestrafung des Völkermord-Verbrechens (3) ist der strafrechtliche Tatbestand definiert. Obwohl Deutsch keine UNO-Sprache ist, gibt es doch eine offizielle deutsche Übersetzung. Anstatt diese zu verwenden, benutzen die Ausstellungsmacher im Katalog eine falsche Übersetzung eines Schlüsselverbums: Sie übersetzen “destroy” mit “ausrotten” statt richtig mit “zerstören”. Der englische Originaltext “to destroy an ethnical group as such” verlangt nämlich aus gutem Grund nicht eine Ermordung aller Gruppenmitglieder (= Ausrottung), sondern die “Zerstörung einer ethnischen Gruppe als solcher” (Anmerkung: unterstrichene Wörter im Text immer durch den Verfasser). In der UNO-Konvention sind in Artikel II fünf Kriterien (a – e) aufgeführt, von denen jedes einzelne für sich allein Völkermord darstellt. Auf das Schicksal der Donauschwaben in Jugoslawien treffen alle fünf zu und damit kann selbst der hartnäckigste Leugner nicht abstreiten, daß der objektive Tatbestand des Völkermordes gegeben ist.
Worauf die Verfasser des Ausstellungskataloges hinaus wollen ist aber, den subjektiven Tatbestand abzustreiten, weil dieser eine Absicht voraussetzt, die ethnische Gruppe als solche zu zerstören. Tatsächlich sind sich die Völkerrechtler weltweit nicht einig, ob eine solche Absicht schriftlich vorliegen müsste, oder ob sie zum Beispiel auch aus den gegebenen Tatsachen abgeleitet werden darf. Das sture Beharren auf schriftlichen Beweisen käme allerdings einem Schutz der Schwerstverbrecher gleich, denn kaum einer ist so dumm, sich durch solche Absichtserklärungen selbst zu belasten. Völkermord ist ein ungeheures Verbrechen gegen die Menschheit (4), das nach dem Willen der Schöpfer der UNO-Konvention unbedingt weltweit vermieden beziehungsweise bestraft werden muß. Es wäre absurd anzunehmen, daß diese prominenten Fachleute eine solche Hürde in ihr Gesetz einbauen, die es fast unmöglich macht, die Verbrecher zu überführen.
Die unmenschlichen Vernichtungsaktionen an den Deutschen in Jugoslawien liefen dreieinhalb Jahre lang, eine große Zahl von Helfern war beteiligt. Es ist völlig ausgeschlossen, daß Verbrechen dieses Ausmaßes in einer durchorganisierten Diktatur wie der titoistischen ohne Wissen und Billigung der obersten Führung stattfinden konnten. Unabhängig von dieser zwingenden Logik gibt es auch klare Einzelhinweise darauf, daß Tito selbst und sein engster Stab genau informiert und entschlossen war, mit den Deutschen “ein für allemal Schluß zu machen” (Aussage seines Weggefährten M. Djilas in “Krieg der Partisanen”, 1978, S. 574). Prof. Alfred de Zayas: “Diese Zerstörungsabsicht steht außer Zweifel bei den jugoslawischen und tschechoslowakischen Staatschefs Josip Broz Tito und Edvard Benes, wie ihre Reden und Dekrete hinreichend belegen, was die Vertreibungen der Deutschen aus Jugoslawien und der CSR als Völkermorde qualifiziert” (5).
Es ist zynisch, wenn die Katalogverfasser behaupten, man wollte die Donauschwaben ja nur aussiedeln, weil aber die Alliierten nicht zustimmten, mußten sie halt in den Lagern bleiben (und sterben, Anm. des Verfassers). Waren demnach etwa die Alliierten die Mörder?
Im Ausstellungskatalog wird immerhin zugegeben: “Die Besonderheit im Verhältnis zu anderen Opfern liegt darin, daß sie (die Donauschwaben, Anm. des Verfassers) die einzigen waren, welche aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt wurden”. Das entspricht genau der Definition des Völkermordes! Da die Verfasser den Völkermord aber grundsätzlich abstreiten, flüchten sie in die Aussage, daß es “nur eine ethnische Säuberung” war.
Ein strafrechtlicher Tatbestand “ethnische Säuberung” ist im Völkerrecht nicht definiert. Der 1992 (Jugoslawienkriege) eingeführte Begriff umfaßt ein breites Spektrum von Verbrechen, die von Fall zu Fall anhand von vorhandenen Gesetzen gemessen werden. Der US-amerikanische Osteuropaexperte Prof. Norman Naimark, der sich intensiv mit dem Bündel “ethnische Säuberungen” beschäftigt hat (6), sagt, daß am einen Ende des Spektrums mehr oder weniger legale, gewaltlose, vertraglich geregelte Umsiedlungen stehen (Beispiel: Umsiedlung der Südtiroler laut Hitler-Mussolini-Pakt, Anm. des Verfassers); am anderen Ende geht die ethnische Säuberung in Völkermord über, weil sie mit Massenmorden begangen wird. (Dazwischen gibt es verschiedene Abstufungen wie “nur” Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschheit.)
Als Beispiel einer ethnischen Säuberung mit Völkermord nennt Prof. Naimark das Schicksal der Armenier: Die Armenier wurden von den Türken in die Wüsten Syriens und Mesopotamiens getrieben. Von etwa 1 750 000 Betroffenen kamen rund 600 000 durch Mord sowie vertreibungsbedingten Krankheiten und Hunger ums Leben, das sind rund ein Drittel Opfer. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien hat Prof. Naimark nicht behandelt, aber es stimmt haargenau mit dem von ihm gezeichneten Bild der Armenier überein, wir müssen nur das Wort “Wüsten” durch “Lager” ersetzen. Von 200 000 deutschen Zivilisten, die unter Titos Herrschaft kamen, verloren 64 000 ihr Leben, das sind rund ein Drittel! Nach Prof. Naimarks eigener Definition sind wir also eindeutig Opfer eines Völkermordes – es sei denn, die “politische Korrektheit” erfordert zweierlei Maß.
Wie bereits gesagt, wurde der Begriff “ethnische Säuberung” im Zusammenhang mit den jugoslawischen Zerfallskriegen eingeführt. Wie aber wurden die dabei begangenen Verbrechen strafrechtlich gesehen? In ihrer Resolution 47/121 vom 18.12.1992 hat die UNO-Generalversammlung sie klar als Völkermord eingestuft! Diese Resolution wurde mehrfach bestätigt und der Internationale Strafgerichtshof für Jugoslawien kam zur gleichen Bewertung. Prof. Alfred de Zayas zieht den logischen Schluß daraus: Wenn die “ethnischen Säuberungen” etwa in Srebrenica (siehe Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 26.2.2007) als Völkermord eingestuft werden, dann ist die Vertreibung der Deutschen, die um ein Vielfaches schlimmer war, erst recht ein Völkermord (7). Die “ethnische Säuberung” ist also kein Versteck für Völkermörder!
Noch ein Wort zur “fehlenden Absicht”, die Deutschen mit allen Mitteln zu eliminieren. Nehmen wir an, wir müßten die Verbrecher vom subjektiven Tatbestand des Völkermordes mangels Beweisen (fehlende ausdrückliche Absichtserklärung) freisprechen. Das würde nichts daran ändern, daß jedes der Völkermordkriterien a) bis e) der UNO-Resolution erfüllt ist (zum Beispiel die zwangsweise ethnische Umerziehung von Kindern), das heißt der objektive Tatbestand des Völkermordes ist erwiesen und damit steht auch der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschheit zweifelsfrei fest. Wer also wegen der fehlenden Zerstörungsabsicht den Standpunkt vertritt, wir wären nicht Opfer eines Völkermordes gewesen, der müßte konsequenterweise fragen: “Völkermord” oder “Verbrechen gegen die Menschheit”? Gemäß UNO-Resolution vom 26.11.1968 (8) verjähren Verbrechen gegen die Menschheit genauso wenig wie Völkermord und Kriegsverbrechen.
Es geht also überhaupt nicht um die Frage, Völkermord oder ethnische Säuberung. Unser Schicksal war nach den Maßstäben des gültigen Völkerrechts ethnische Säuberung und Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit und teilweise auch Kriegsverbrechen.
Herbert Prokle
Beirat der Donauschwäbischen Kulturstiftung und Verfasser von:
Der Weg der deutschen Minderheit Jugoslawiens nach Auflösung der Lager 1948.- München 2008. Hrsg. von der Donauschwäbischen Kulturstiftung.
Mehr zu diesem Buch unter unserem Menüpunkt “Publikationen”.
Anmerkungen:
(1) Blumenwitz, Dieter: Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948.- München 2002. Hrsg. von der Donauschwäbischen Kulturstiftung. Mehr zu diesem Buch unter unserem Menüpunkt “Publikationen”.
(2) de Zayas, Alfred: 50 Thesen zur Vertreibung.- London/München 2008. Verlag Inspiration UN Limited.
(3) Titel der rechtsverbindlichen englischen Originalfassung: Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide. General Assembly Resolution 260 A (III).
(4) Der Begriff “crimes against humanity” lautet in der offiziellen deutschen Übersetzung “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”. Im gegebenen Zusammenhang ist das aber ein “Lapsus” (Aussage Alfred de Zayas in “50 Thesen zur Vertreibung” S. 20); gemeint ist “Verbrechen gegen die Menschheit”. Ich schließe mich Prof. Alfred de Zayas an und verwende diesen Ausdruck.
(5) de Zayas, 50 Thesen, S. 22.
(6) Naimark, Norman M.: Strategische Argumente. In der FAZ vom 21.1.2004, Seite 7.
(7) de Zayas, 50 Thesen, S. 23.
(8) Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes against Humanity. General Assembly Resolution 2391 (XXIII).
2013-07-20