Jung, engagiert und, wie er sich selbst ausdrückte, “nicht auf den Mund gefallen”. Diese Eigenschaften ließen am 7. Mai den Vortrag von Dennis Schmidt, einem gerade mal 20-jährigen, aus einer donauschwäbischen Familie stammenden Ruchheimer Abiturienten zum Erlebnis werden.
Ausgehend von den Erfahrungen während eines dreimonatigen Praktikums in der landwirtschaftlichen Kooperative Agrária im brasilianischen Entre Rios vom 11. Januar bis 2. April dieses Jahres skizzierte Schmidt im Mutterstädter Haus der Vereine in sehr lebendiger freier Rede die Geschichte und vor allem die Gegenwart der 1951 von donauschwäbischen Vertriebenen gegründeten fünf Dörfer im Bundesstaat Paraná im Allgemeinen sowie der Genossenschaft im Besonderen.
Luftaufnahme 1. Dorf
Da der Referent nicht nur im Ruchheimer Kirchenvorstand und der rheinland-pfälzischen Jungen Union engagiert ist, sondern auch dem Vorstand der Heimatortsgemeinschaft Glogowatz (im Raum Arad im rumänischen Banat gelegen) angehört, waren neben den Veranstaltern Katharina Eicher-Müller vom Mutterstädter Ortsverband der Donaudeutschen Landsmannschaft sowie Martin Schmidt von der Donauschwäbischen Kulturstiftung mit Jürgen Griebel und Walter Keller auch zwei Bundesvorstandsmitglieder der Landsmannschaft der Banater Schwaben Josef Jerger als Landesvorsitzender der Donaudeutschen anwesend.
Ergänzt um eine Power-Point-Präsentation mit einer reichen Auswahl meist aktueller Fotos erzählte der angehende Student der Betriebswirtschaftslehre von der stark bäuerlich geprägten Lebensweise, aber auch den hochmodernen technischen Errungenschaften und den fortwirkenden kulturellen Prägungen der Siedler, deren Vorfahren in der Mehrzahl aus dem serbischen Syrmien und Slawonien stammten. Der von der Schweizer Europahilfe und der nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend großzügigen Aufnahmepraxis der brasilianischen Regierung ermöglichte “Neuanfang im Nirgendwo” war schwer, wurde aber schon binnen weniger Jahre – jedenfalls subjektiv – zum Erfolgsprojekt, und zwar spätestens zu dem Zeitpunkt, da die donauschwäbischen Familien nach all den Drangsalen ihrer Flucht endlich wieder ein eigenes Dach über dem Kopf hatten. Auch wenn es sich um Einheitshäuser mit meist bloß zwei Zimmern handelte (Küche plus Schlafbereich für in der Regel 5-8 Personen), so verliehen diese laut Schmidt doch das Glücksgefühl, “angekommen zu sein”.
Die bereits am 5. Mai 1951 aus der Taufe gehobene Genossenschaft Agrária und der unermüdliche Fleiß der Siedler schufen einen erstaunlichen. Wohlstand, der – unterbrochen von Ernteausfällen und Krankheiten sowie anderen herben Rückschlägen wie der Migrationswelle der sechziger Jahre, als rund 50 Prozent der Donauschwaben gen Deutschland abwanderten (wo die meisten von ihnen bis heute in der Gegend von Rastatt leben) –, seinen Teil dazu beiträgt, daß die Agrária mit ihren 550 Genossenschaftsmitgliedern und ca. 1000 Angestellten einer der größten regionalen Arbeitgeber ist und die drei Südprovinzen Brasiliens mit ihrem sehr hohen Anteil deutschstämmiger Bevölkerung heute als im Landesvergleich wirtschaftlich führend gelten. 2013 wurde die Agrária vom Landwirtschaftsminister sogar als produktivste Genossenschaft in ganz Brasilien ausgezeichnet.
Agromalte (Mälzerei der Cooperativa Agraria)
Anfangs wurde insbesondere Reis angebaut, später folgten unter anderem die Errichtung eines Sägewerks, einer Reis- und einer Weizenmühle. Der Anbau von Soja wurde derart wichtig, daß Soja-Produkte aus Entre Rios mittlerweile bis nach Deutschland gelangen. Ähnliches lässt sich für den Weizenanbau bzw. dessen Weiterverarbeitung sagen. Schon jetzt besitzt man eine der größten Mälzereien Südamerikas, und unlängst fiel der Beschluss, ein riesiges Maislager zu errichten, dessen Kapazitäten weltweit einmalig wären. Die Zuhörer in dem randvollen Vereinssaal bekamen einen Superlativ nach dem anderen zu hören. So schwärmte der junge Referent von den enormen Forschungsanstrengungen und den Aufforstungsbemühungen der energietechnisch ausschließlich mit Holz (!) arbeitenden Genossenschaft oder betonte: “Wer in Südamerika Bier trinkt, kann ziemlich sicher sein, dabei auch etwas von der Agrária zu konsumieren!”
Einheit Guarapuava (Annahmestelle und Lager)
Doch Dennis Schmidt trug nicht nur Zahlen und andere aussagekräftige Fakten vor, die er während seiner zweimonatigen Tätigkeit in der Logistikabteilung der Genossenschaft erfahren hatte, sondern lockerte den Vortrag immer wieder mit Anekdoten und sehr persönlichen Eindrücken auf. Da war von durch Ratten verursachten Mähdrescherunfällen ebenso die Rede wie von auf unerklärliche Weise verschwundenen Transport-LKWs (“auch das ist Brasilien”) und mancherlei von Generation zu Generation überlieferten Sticheleien zwischen den im Detail sehr unterschiedlichen fünf donauschwäbischen Dörfern. Reichlich Gesprächsstoff lieferten darüber hinaus anrührende menschliche Erfahrungen während des letzten Praktikummonats in der genossenschaftseigenen “Deutsch-Brasilianischen Kulturstiftung”.
Donauschwaben beim Maibaumfest (1. Mai 2012)
Jeden Donnerstag habe er sich in dieser Zeit an dem von der Seniorentanzgruppe inbrünstig intonierten Lied “Kehr ich einst zur Heimat wieder” erfreut, so Schmidt, und habe viele offene Türen und Herzen vorgefunden, wenn er sich der – erst im Alter von 15/16 Jahren selbst angeeigneten – “schwowischen” Mundart bediente. Nicht zuletzt waren die heutzutage oft “riesigen” Eigenheime der Bauern ein Thema, das Wirtshaus “Donaubier” und natürlich die noch immer “sehr schwäbische” Küche.
Donauschwäbische Tanzgruppe (Erwachsenengruppe)
Da die Religion unter den Donauschwaben in Entre Rios einen anhaltend hohen Stellenwert besitzt, gab es auch hierzu Hintergrundinformationen, die in massiver Kritik an dem für die fünf Dörfer zuständigen katholischen portugiesischen Pfarrer gipfelten. Dieser sorgt gegenwärtig für erheblichen Unmut, da er nicht bloß dem deutsch dominierten Kirchenrat seine Anerkennung verweigert, sondern jedwede Verwendung des Deutschen im Gottesdienst blockiert. Auch in den großen Städten der weiteren Umgebung seien durchaus feindselige Stimmungen spürbar, so Schmidt, wenn die Donauschwaben ihre Mundart gebrauchten. Auch deshalb schränkten diese die Verwendung der Muttersprache weitgehend auf die engsten Lebensbereiche ein.
Dort ist man laut Schmidt jedoch “noch immer sehr stolz, Schwabe zu sein”. Die Tanz- und Musikgruppen der Kulturorganisation zählen stattliche 330 Mitglieder. Schon von klein auf werde der Nachwuchs einbezogen, zumal das Tanzen “den meisten Donauschwaben im Blut” liege. Aber auch viele Brasilianer seien mit von der Partie, was in den für ihr hohes Niveau bekannten deutschen Schulen ebenfalls beobachtet werden könne. Bei traditionellen deutschen Volkstänzen einerseits und brasilianischen Gaúcho-Tänzen andererseits werde an einem nachhaltig guten Verhältnis zwischen den Volks- und Sprachgruppen gearbeitet. Dieses zu erleben sei “eine der schönsten Erfahrungen” seines Praktikums gewesen, betonte Dennis Schmidt abschließend.
Martin Schmidt
2013-05-17