Symposium über Donauschwaben: Minderheiten vor dem Untergang?

“Ohne wirtschaftliche Gesundung Osteuropas schrumpfen alle Minderheitengruppen weiter”, lautete die Kernthese von Dr. Meinolf Arens (Wien), der Leiter des Forschungsprojekts und Symposiums “Deutsche in Osteuropa seit der Wende”, als er am 21. Februar 2013 im Münchner Haus des Deutschen Ostens den Schlussvortrag hielt. Dieser trug den Titel “Deutsche und andere kleine Minderheiten im Donau-Karpatenraum seit der Wende von 1989. Gemeinsamkeiten und Unterschiede”. Er verwies dabei auf drei Aspekte, die man auf alle ost-mitteleuropäischen Staaten beziehen kann. Erstens haben ausnahmslos alle diese Staaten einen Bevölkerungsrückgang und eine Vergreisung zu verzeichnen, hervorgerufen durch Abwanderung und eine niedrige Geburtenrate. Zweitens gilt dies für den ländlichen Raum – in der Regel befinden sich gerade dort die Siedlungsgebiete der Minderheiten – in ganz besonderem Maße. “Der ländliche Raum wird noch massiver entvölkert und die EU hat bislang kein Konzept für diese Landschaften”, so Arens. Drittens stellt sich die Frage, ob die neuen Medien auf die Diaspora-Gruppen stabilisierend wirken. Skepsis ist allerdings angebracht, weil gerade die ländlichen Angehörigen der Minderheiten der alten Generation angehören, die wiederum das Internet kaum nutzt. In der anschließenden Diskussion wurden Überlegungen angestellt, ob es ein realistischer Ansatz zur Verbesserung der katastrophalen Lage wäre, vertriebene oder ausgesiedelte Gruppen zur Rückkehr in ihrer einstigen Siedlungsgebiete zu ermuntern - insbesondere durch ihre Herkunftsstaaten. Abgesehen davon, dass wohl nur ein verschwindend geringer Teil der deutschen Vertriebenen beziehungsweise Aussiedler auf Grund ihrer guten Integration in Deutschland und Österreich die Bereitschaft zeigen würde, in ihr Herkunftsland beziehungsweise das Herkunftsland ihrer Vorfahren zurückzukehren, macht auch ein bemerkenswerter Vorgang in der Sowjetunion wenig Mut. Dr. Meinolf Arens verwies auf die Rückkehr von 90 Prozent der Tataren auf die Krim im Jahre 1987 und gab zu bedenken: “Davon sind inzwischen 40 Prozent wieder weg, weil sie nicht Fuß gefasst haben.”

Mirjana Ivancic
Mirjana Ivancic von der Universität Budapest analysierte die Situation der deutschen Minderheit in Slowenien und Kroatien - Foto: Hans Schmuck

Angesichts dieser pessimistischen Gesamteinschätzung, die ihre Berechtigung nicht zuletzt dadurch erfährt, dass sich einstige multikulturelle Vorzeigeregionen wie die Vojvodina und Siebenbürgen sich in immer stärkerem Maße zu monokulturellen Gegenden entwickeln, in denen Serben beziehungsweise Rumänen eindeutig dominieren, sind kleinere Gegentendenzen umso erfreulicher. Auf ein solches Phänomen wies Mirjana Ivancic (Universität Budapest) in ihrem Vortrag “Minderheiten vor dem Verlöschen? Die Entwicklung der Deutschen in Kroatien und Slowenien seit 1991 im Vergleich” hin. Die in Zagreb aufgewachsene Germanistin und Expertin für Menschenrechte und Minderheitenfragen berichtete von einem Anstieg der deutschen Minderheit in Kroatien. Jedenfalls bekannten sich bei der Volkszählung im Jahre 2011 laut Statistischem Amt der Republik Kroatien 2965 Personen als Deutsche, während es 1991 nur 2635 und 1971 2791 waren. Die meisten Donauschwaben (813 Personen) leben in Slawonien in und um die Stadt Essegg (Osijek), nämlich in der Gespanschaft Osjecko-baranjska. Die Zukunftschancen der deutschen Minderheit in Kroatien bewertete Ivancic im Vergleich zur Situation in Slowenien als deutlich besser. Im Gegensatz zu Kroatien sind die Deutschen in Slowenien – laut Volkszählung im Jahre 2002 umfassen sie rund 500 Personen - nicht als Minderheit anerkannt. In Kroatien wurde den Deutschen hingegen jüngst eine hohe Wertschätzung zuteil, als Staatspräsident Prof. Dr. Ivo Josipovic die “Deutsche Gemeinschaft – Landsmannschaft der Donauschwaben in Kroatien” anlässlich der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der Minderheitenorganisation im Dezember 2012 in Essegg besuchte. Im Vorfeld seines Besuches äußerte sich der Professor der Juristischen Fakultät und der Musikakademie der Universität in Zagreb im Rahmen eines Interviews im Organ der deutschen Minderheit “Deutsches Wort” (Nr. 85) sehr positiv über die Donauschwaben. Josipovic meinte beispielsweise bezüglich der Deutschen in Kroatien: “Man kann sagen, dass sie, besonders in dem 18. und 19. Jahrhundert, durch ihre Arbeit die kulturelle und allgemeine Zivilisationsentwicklung Kroatiens beschleunigt haben und uns geholfen haben näher an das was wir der Mitteleuropäischen Lebensstandard nennen können.” Ausdrücklich bedauerte der Staatspräsident die Verbrechen der Tito-Partisanen: “Wir müssen aber auch die andere Seite betrachten und akzeptieren, dass viele von ihnen nach dem II. Weltkrieg Leid getan wurde. Dabei denke ich an die Menschen ohne Schuld an der nazistischen Politik, bzw. an die Menschen die auf eine oder andere Weise ohne Gericht und gerechten Prozess verurteilt waren. Sie wissen dass ich stets den geschichtlichen Wert und Bedeutung des kroatischen Antifaschismus befürworte. Wir dürfen aber deswegen nicht blind sein für die Leiden der Menschen, die Opfer der Vergeltung oder der politischen Entscheidung sie aus dem Land in dem viele Familien seit Generationen lebten, zu vertreiben waren.” Mit Spannung darf man verfolgen, welche Konsequenzen folgende Aussage des Präsidenten nach sich ziehen wird: “Wenn es aber um die Geschichte in Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg geht, bedauern wir jedes unschuldige Opfer und Ungerechtigkeit die Angehörige der deutschen und österreichischen Minderheit in Kroatien ertragen haben. Diese Ungerechtigkeiten, soweit es nach einer so langen Zeit seit den Ereignissen verging geht, müssen korrigiert werden.”

Ein sehr hohes Ansehen genießen die Deutschen in Rumänien. Das unterstrich Dr. Ottmar Trasca von der Universität Klausenburg (Cluj) in seinem Vortrag “Der Exodus der Deutschen Minderheiten in Rumänien nach 1989. Grundsätzliche Betrachtungen zu Ursachen und Folgen”. Trasca zitierte den rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceaușescu (1918-1989), der Juden und Deutsche als die beste Ausfuhrware Rumäniens bezeichnet hatte. Schätzungen zufolge soll die Bundesrepublik Deutschland insgesamt eine Milliarde DM an Rumänien für die Ausreisegenehmigung Angehöriger der deutschen Minderheit überwiesen haben. Ceaușescu erhielt übrigens 1971 die höchste von der Bundesrepublik Deutschland für Staatsoberhäupter zu vergebende Auszeichnung: die Sonderstufe des Großkreuzes. Als Fazit hielt Trasca fest: “Die verbliebenen Deutschen sind in Rumänien heute sehr beliebt. Die Auswanderung der Deutschen ist wirtschaftlich und kulturell eine Katastrophe für Rumänien. Leider ist die Perspektive der Deutschen in Rumänien nicht sehr gut.”

Meinolf Arens
Nina Roser lieferte Zahlenmaterial über die Deutschen in Rumänien; rechts: Projektleiter Dr. Meinolf Arens - Foto: Hans Schmuck

Mit Statistik untermauerte Nina Roser (Magister Artium, Wien) ihr Referat “Das Ende einer 850-jährigen Geschichte? Siebenbürger Sachsen und die Zäsur 1989-2012”. Von 1977 (360 000) über 1992 (120 000), 2002 (50 000) und 2011 (37 000) verringerte sich die Anzahl der in Rumänien lebenden Deutschen in dramatischer Weise. In einem Dorf wie Gürteln (Gherdeal) leben heute gerade noch neun Personen und der jüngste Einwohner nähert sich bereits dem Rentenalter. In Hermannstadt (Sibiu), das mit Klaus Johannis seit 2000 über einen deutschen Bürgermeister verfügt, leben der Volkszählung aus dem Jahre 2011 gemäß noch 4117 Deutsche bei einer Gesamtbevölkerung von 375 000. 340 000 Menschen bekannten sich als Rumänen, 11 000 bezeichneten sich als Ungarn. In ganz Siebenbürgen leben nur noch 12 000 Deutsche (1977: 170 000). Damit stellen in Rumänien die Banater Schwaben mit 14 500 Angehörigen (Volkszählung 2011) die größte deutsche Gruppe. Corinna Mayer (BA in Europäischer Ethnologie, München) zeichnete in ihrem Vortrag “Das Ende einer 300-jährigen Geschichte? Die Banater Schwaben und die Zäsur der Jahre 1989-2012” das Bild einer recht vitalen Minderheit. “Die Zahlen werden sich auf einem niedrigen Niveau stabilisieren”, prophezeite Mayer, die den Banater Schwaben eine “stabile ethnische und kulturelle Identität” bescheinigte. Der Eindruck, dass die Banater Schwaben mehr Aktivitäten als die Siebenbürger Sachsen entfalten würden, wurde gestützt von der Tatsache, dass die Deutschen im östlichen Banat auf einem kleineren Raum zusammenleben als die weit verstreuten Sachsen in Siebenbürgen. Die Deutschen im Banat konzentrieren sich auf die Städte Arad, Reschitz und Temeswar. Es gibt keine Dörfer mehr im Banat, in denen die Deutschen die Mehrheit bilden. Allerdings wurden seit 1989 viele Institute und Vereine neu gegründet wie beispielsweise der Jugendtrachtenverein “Rosmarein” in Temeswar (Internetseite: www.rosmarein.ro), so dass Mayer von einem “Retraditionalisierungsprozess” sprach. Außerdem gäbe es heute mehr deutschsprachige Studienmöglichkeiten als vor 20 Jahren. So könne man an der Polytechnischen Universität Temeswar Mechatronik, Bauingenieurwesen und Verwaltungswissenschaften in deutscher Sprache studieren. Sehr beliebt bei der rumänischen Mehrheitsbevölkerung ist der Deutsch-Unterricht an den Schulen, so dass Klassen für die deutschen Muttersprachler, die so genannten Deutschen Abteilungen, sowohl in Siebenbürgen als auch im Banat nur noch zu fünf Prozent aus Angehörigen der deutschen Minderheit bestehen. Die restlichen 95 Prozent sind Rumänen, bei denen Schulen wie das Nikolaus Lenau-Lyzeum in Temeswar auch wegen des Austauschprogramms und der Partnerschulen im deutschsprachigen Ausland sehr attraktiv sind.

Corinna Mayer, Dr. Meinolf Arens
Corinna Mayer berichtete über die Donauschwaben im östlichen Banat; rechts: Projektleiter Dr. Meinolf Arens - Foto: Hans Schmuck

Die Gegend um Sathmar, eines der sechs Siedlungsgebiete der Donauschwaben, stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Zoltan Ilyes (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Forschungsinstitut der Sozialwissenschaften, Institut der Minderheitenforschung; Budapest) “Die Sathmarer Schwaben seit der Wende von 1989 zwischen Migration, Assimilation an eine andere Minderheit und deutscher Kulturzugehörigkeit”. Ilyes berichtete von einem erstaunlichen Phänomen. Bei der Volkszählung im Jahre 1992 bezeichneten sich 8000 Personen als Deutsche oder Schwaben, die sich bei der Völkszählung im Jahre 1977 noch als Ungarn ausgegeben hatten. Insgesamt 14 351 Personen im Raum Sathmar gaben 1992 als nationale Identität entweder Deutsch (8679) oder Schwäbisch (5672) an. Sieben Dörfer hatten plötzlich eine deutsche Mehrheit, wenngleich die deutsche Sprachkompetenz wenig ausgeprägt war und sich die Menschen im Alltag weiterhin in ungarischer Sprache unterhielten. Die Gründe für das Bekenntnis zum Deutsch- bzw. Schwabentum sieht Ilyes in einem “kulturellen Kapital”, mit dem man auswandern könne, um auf den deutschen Arbeitsmarkt zu gelangen. Nur zehn Jahre später bei der Volkszählung 2002 ergab sich wieder ein anderes Bild. Die Zahl der Deutschen sank auf 6417, immerhin acht Gemeinden um Groß-Karol wiesen mehr als 20 Prozent Deutsche auf. Hier führt Ilyes neben einer fortgesetzte Auswanderung der Deutschen und einem demographischen Rückgang vor allem die Tatsache an, dass 7000 Personen sich nun wieder als Ungarn bezeichneten. Die Rückkehr zum Magyarentum lässt sich an drei Aspekten veranschaulichen. Erstens zeigte die katholische Kirche wenig Unterstützung für die Sathmarer Schwaben, zweitens stabilisierte sich die ungarische Minderheit in Rumänien und drittens war der kulturelle Aufwand offenbar zu groß, sich ohne deutsche Sprachkompetenz der deutschen Nationalität zuzurechnen. Was nun diejenigen Sathmarer Schwaben betrifft, die sich weiterhin als Angehörige der deutschen Minderheit fühlen, so ist hier eine Erinnerungsarbeit auf drei Feldern festzustellen: Deportation in die Sowjetunion, 300-Jahr-Feier Groß-Karol, Erinnerung an die Magyarisierung. Als regionale Identitätssymbole gelten das Strudlifest (Apfelstrudel) oder die Ulmer Schachtel, mit der die Donauschwaben einst die Reise ins Königreich Ungarn antraten.

2013-02-24