Krisztián Ungváry über “feindliche schwäbische Organisationen”

Über ein weithin unbeachtetes und unbekanntes Thema referierte der Budapester Historiker Krisztián Ungváry am 16. November 2012 auf Einladung der Donauschwäbischen Kulturstiftung im Münchner Haus des Deutschen Ostens. Vor knapp 40 Zuhörern - darunter die ungarische Konsulin Rita Chiovini und Klaus Loderer, der als Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn ein Grußwort sprach - lautete das Thema “Die Oberservierung der ungarndeutschen Minderheit durch die Staatssicherheit und die Aktivitäten der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1955 und 1990”.

Klaus Loderer
Grußwort von Klaus Loderer, dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn- Foto: Hans Schmuck

Die wissenschaftliche Forschung steht bei diesem Komplex erst ganz am Anfang. “Das Wissen ist minimal”, gestand Ungváry. Dass er sich überhaupt kompetent äußern könne, liege an der Öffnung der ungarischen Archive, wobei auch in Ungarn “bei weitem nicht alles zugänglich” sei. Wichtigste Quelle für Ungváry waren die Akten des ungarischen Staatssicherheitsdienstes, darunter zwei Bände über “feindliche schwäbische Organisationen” in der Bundesrepublik Deutschland (gemeint sind beispielsweise die Landsmannschaften der Deutschen aus Ungarn). Keine Informationen erhielt der Historiker vom BND. Deshalb konnte er über das Verhalten des BND nur das berichten, was den ungarischen Diensten bekannt geworden war und sie deshalb in ihren Unterlagen vermerkt hatten. Was möglicherweise der ungarischen Staatssicherheit entging, bleibt im Dunkeln.

Krisztián Ungváry
Dr. Krisztián Ungváry stützt seinen Vortrag fast ausschließlich auf Primärquellen - Foto: Hans Schmuck

Dr. Krisztián Ungváry unterstrich, dass der BND sich lediglich um militärische Aufklärung bemühte, während die ungarische Staatssicherheit neben der militärischen Spionage in hohem Maße Industriespionage betrieb. Außerdem mischte sie sich in Wahlen der Bundesrepublik ein und unterstützte dabei mit zahlreichen Aktionen, die in den Unterlagen Erwähnung finden, aber nicht konkretisiert werden, die SPD gegen die “revanchistische” CDU. Ein besonderes Augenmerk richteten die ungarischen Dienste auf die vertriebenen Deutschen, die als Touristen in ihre Heimatdörfer zurückkehrten. Penibel wurde in den Berichten festgehalten, wenn sich die Vertriebenen ihre Häuser ansahen und diese fotografierten. Als besonders negativ wurde vermerkt, dass sie “Revanchisten” wären und Pläne für ein gemeinsames Europa schmieden würden. Besonders stark wurden die heimatverbliebenen Donauschwaben observiert. “Dort waren überall inoffizielle Mitarbeiter der Stasi”, so Ungváry, der vor einigen Jahren folgende Gedanken zur europäischen Erinnerungskultur geäußert hatte:

“Europa hat eine doppelte Vergangenheit: Der Westen hat nur einen Teil der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts erlebt. Leider haben westliche Intellektuelle mehr Deutungshoheit über die Geschichte und zeigen manchmal zu wenig Sensibilität für die Opfer des Kommunismus. Ein Demokrat müsste aber die gleiche Distanz zu allen Diktaturen behalten. Die Versuche, eine europäische Erinnerung zu schaffen, ohne die Interessen der Osteuropäer zu berücksichtigen, empfinde ich als geistige Kolonisation.”

2012-11-17