Altötting ist die größte jährliche donauschwäbische Veranstaltung im deutschen Sprachraum. Am 11. Juli 2010 fand bereits zum 51. Mal die Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben statt. Nachstehend die Ansprachen von Johannes Weissbarth (St. Gerhards-Werk) und Heribert Rech (Innenminister von Baden-Württemberg).
Hochwürdigster Herr Diözesanbischof Dr. László Német aus Betschkerek
hochwürdige donauschwäbische Geistlichkeit aus Deutschland, Österreich und Ungarn,
hochverehrter Herr Innenminister Rech aus Stuttgart und Landesbeauftragter des Landes Baden-Württemberg für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler,
liebe donauschwäbische Pilgerinnen und Pilger aus Deutschland, Österreich, Rumänien, Ungarn und dem ehemal. Jugoslawien,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Mit großer Freude darf ich namens des St. Gerhards-Werks die 51. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben eröffnen und Sie alle herzlich begrüßen. Unsere besonderen Grüße gelten dem Banater Heimatbischof Dr. Német und Herrn Innenminister Rech, die beide die weite Reise nach Altötting nicht scheuten, zu dieser größten donauschwäbischen Wallfahrt zu kommen.
Auf den Wallfahrten in Altötting hat sich seit fünf Jahrzehnten gezeigt, dass Kirche und Heimat für uns donauschwäbische Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler untrennbar miteinander verbunden sind. Ich freue mich, dass Sie, liebe Landsleute, auch in diesem Jahr der Einladung des St. Gerhards-Werks zur Gelöbniswallfahrt gefolgt und wieder so zahlreich erschienen sind. Wir danken Ihnen dafür.
Unser Dank gilt auch dem Orden der Kapuziner, die uns stets gute Gastgeber waren und den vielen Männer und Frauen aus Kirche und öffentlichem Leben für ihr Mitwirken an den Gottesdiensten und Glaubenskundgebungen.
Willkommen heißen wir die Repräsentanten der Stadt Altötting, an der Spitze Herr Bürgermeister Hofbauer, die Vertreter der donauschwäbischen Landsmannschaften und Heimatortsgemeinschaften sowie die Vertreter der Presse.
Wir freuen uns über die künstlerisch hochgradige kirchenmusikalische Mitwirkung des Vokalensembles “Coro degli angeli” (Chor der Engel) und die zahlreichen Trachtenträger und Blasmusiker aus unseren Reihen, die alle eine schöne Bereicherung für unsere Wallfahrt sind.
Das Echo auf unsere Wallfahrt zeigt seit fünf Jahrzehnten, dass alle unsere Anstrengungen und Vorbereitungen sich stets gelohnt haben. Es waren Hunderttausende unserer Landsleute, die in den vergangenen 50 Jahren zu unserer Mutter Gottes in diesen bedeutendsten Wallfahrtsort Deutschlands gepilgert sind. Hier erfüllen wir jedes Jahr unser Gelöbnis aus den Vernichtungslagern Gakowo und Rudolfsgnad von 1946, als dort das Leiden und Sterben unserer Landsleute seinen Höhepunkt erreicht hatte und mit P. Wendelin Gruber gelobt und versprochen wurde: “Wenn wir überleben, wollen wir wallfahren, und wenn wir wieder zu Hab und Gut kommen wollen wir aus Dankbarkeit eine Marien-Gedächtniskapelle bauen”. Dieses Versprechen wurde vor 30 Jahren in Bad Niedernau mit der Errichtung der Gedächtniskapelle eingelöst.
Dank, liebe Pilgerinnen und Pilger, ist immer auch mit einer Bitte verbunden: Geben Sie den Inhalt des Gelöbnisses, das in tiefster Todesnot abgelegt wurde, an die kommenden Generationen weiter, damit diese traditionsreiche Wallfahrt auch künftig ein eindrucksvolles Manifest des Glaubens der Donauschwaben bleiben möge!
Wir alle, die wir heute zur Wallfahrt nach Altötting gekommen sind, wollen uns eingedenk des Gelöbnisses in der Eucharistiefeier besinnen und unserem Herrgott danken für sein treues Geleit all die Jahre hindurch. Wir wollen danken, dass wir in festem Glauben und in Frieden und Freiheit auf ein geeintes christliches Europa zugehen dürfen.
Herr Innenminister Rech, wir bitten um Ihre Worte.
Es ist eine große Ehre für mich, dass ich heute die 51. Gelöbniswallfahrt hier in Altötting mit Ihnen gemeinsam begehen kann.
Es ist mir auch eine große Freude, weil ich den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen eng verbunden bin.
Diese Verbundenheit kommt aus einer ganz persönlichen tiefen Beziehung zu unseren heimatvertriebenen Landsleuten.
Ich weiß, welches Schicksal Sie erlitten haben und welch schwere Last Sie bis heute tragen.
Ich habe es aus vielen Gesprächen und persönlichen Begegnungen mit Ihnen erfahren. Ich weiß es nicht zuletzt auch aus meiner eigenen Familie. Ich weiß um die Fragen, die die Kinder und Enkel an die Eltern und Großeltern stellen. Sie wollen wissen, wie es war - damals.
Ich weiß aber auch um die Momente, in denen Vater und Mutter, Großvater und Großmutter geschwiegen haben. In denen sie ihre Kinder schützen wollten vor den Bildern, die ihre Erzählungen vielleicht hervorgerufen hätten.
Meine Damen und Herren,
die Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben nach Altötting hat eine lange Tradition.
Ihr Ursprung liegt in der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Das Tito-Regime hatte alle Deutschen im ehemaligen Jugoslawien entrechtet, von ihren seit Jahrhunderten bewirtschafteten Besitzungen vertrieben.
Männer und Frauen wurden zu Arbeitsdiensten abtransportiert oder nach Russland deportiert.
Ältere Menschen und Kinder waren ohne Hilfe, waren in Lagern sich selbst überlassen.
Die körperliche, aber auch die seelische Not der Menschen können wir kaum ermessen. Sehr viele von ihnen haben ihr Leben lassen müssen.
Geistliche folgten den Frauen, Männern und Kindern freiwillig in die Lager, um Trost zu spenden; um im Leid und in der Not bei ihnen zu sein.
Einer dieser Geistlichen war Pater Wendelin Gruber.
Gemeinsam mit den im Lager Gakowa Eingesperrten und von den Entbehrungen gezeichneten Menschen hat er in einer Messe an einem Sonntag des Jahres 1946 ein Gelöbnis abgelegt.
Ein Gelöbnis der Dankbarkeit: Dankbarkeit für das Überleben und die Befreiung.
Ein Gelöbnis, das Sie, die Donauschwaben, auch heute - über 60 Jahre nach Ende des Krieges - auf dieser Wallfahrt zu Ehren Mariens mit vollem Herzen erfüllen.
Mit der Wallfahrt nach Altötting stehen Sie fest zur christlichen Tradition der Wallfahrten der Donauschwaben in der alten Heimat.
Papst Benedikt hat vor kurzem “zur Verteidigung christlicher Werte in Europa aufgerufen.” Hier in Altötting geschieht dies heute in eindrucksvoller Weise.
Das Christentum ist die wesentlichste Kraft, die Europa und seine Kultur entscheidend mitgestaltet hat. Nach einem Wort von Papst Pius XII. “die Seele seiner Völker am tiefsten geformt hat”.
Die Wallfahrt heute ist aber auch ein neuerlicher und ein beeindruckender Beweis der Treue zur alten Heimat.
Die Wallfahrt ist vor allem ein Bekenntnis der Dankbarkeit:
Wir sind dankbar, dass wir heute hier sein können.
In Dankbarkeit gedenken wir in Demut unserer Toten. Derer, die wir zurücklassen mussten als Opfer des Krieges, als Opfer von Flucht und Vertreibung.
Wir erinnern auch an das unsägliche Leid, das unsere Landsleute ertragen mussten, an das erlittene Unrecht als ein nie endender Schmerz.
Liebe Landsleute,
eine Wallfahrt war und ist immer auch ein Ereignis für Begegnungen und Austausch zwischen Gläubigen, die sich sonst vielleicht nie getroffen hätten.
Immer mehr Menschen aller Generationen finden darin ein Bekenntnis ihres Glaubens.
Und - so hat es den Anschein - immer mehr Menschen sind auf der Suche.
Wallfahrten und Pilgerreisen liegen voll im Trend - so habe ich letztens gelesen. Der spirituelle Tourismus - wie er genannt wird - boome.
Wie ist dieser Trend zu werten?
Wer auf eine Wallfahrt geht, zeigt öffentlich, dass er gläubig ist. Er unternimmt eine spirituelle Reise. Man kennt auch den Ausdruck: “mit den Füßen beten”.
Wallfahrer haben meistens Anliegen für sich, für Angehörige und für Freunde, die sie betend vortragen, um Erhörung zu finden.
Mir scheint es, als sei das Pilgern für manche heutzutage auch oftmals nur ein Event, “da muss man dabei sein”. Ist es aber ein Herzensanliegen?
Ein Herzensanliegen, dem Sie liebe donauschwäbischen Landsleute, über all
die Jahre treu geblieben sind. In dem die Dankbarkeit an die Mutter Gottes Jahr für Jahr zum Ausdruck kommt.
Und gerade deshalb, weil es eben kein gefühlloser, dem Lauf der Dinge überlassener “Event” ist, sondern ein Erlebnis ist, in dem man sich als Christ und Donauschwabe einbringt und verwirklicht, wird die Wallfahrt Bestand haben und die Tradition fortbestehen.
Wallfahren, das heißt einen gemeinsamen Weg gehen, gemeinsam beten. Es heißt aber auch schweigen, sich besinnen.
Die Wallfahrt öffnet und macht bereit. Sie lässt zu, dass sich das tiefste Innere des Menschen für Begegnungen und Erfahrungen im Glauben öffnet.
Wallfahrt ist Gemeinschaft. Wallfahrt schafft Heimat im christlichen Glauben.
Das Motto des diesjährigen Wallfahrtsjahres in Altötting lautet: “Orientierung und Heimat in der Kirche”.
Kaum ein anderer Begriff bewegt die Menschen so sehr wie der Begriff der “Heimat”.
Vor allem bewegt er die Heimatvertriebenen, denn sie haben den schmerzlichen Verlust von Heimat am eigenen Leib verspürt.
Heimat ist etwas ganz Wesentliches. Der Wunsch und die Sehnsucht nach einer Heimat sind ganz tief im Menschen verwurzelt.
Auf die Frage, was Heimat für ihn bedeute, antwortet Joachim Kardinal Meisner: “Je älter ich werde, desto mehr merke ich, aus welchen Wurzeln sich das Leben speist.
Wenn ein Baum älter wird und höher, muss er, um nicht zu kippen, sich immer tiefer im Erdreich verwurzeln. Und diese Wurzeln sind für die Menschen die Heimat”.
Nach Kriegsende kamen viele Millionen entwurzelte Menschen nach Deutschland.
Sie hatten alles verloren.
Sie mussten ihre Dörfer, ihre Häuser, ihre Höfe, ihre Wohnungen verlassen. Sie hatten ihre Heimat verloren.
Eines aber hatten sie nicht verloren - ihren Glauben. In ihm waren sie weiterhin zu Hause. Er war das einzig Verlässliche, das ihnen noch geblieben war.
“Das kostbarste Erbe der Heimat ist der Glaube. Wo er lebt, da ist die Heimat unverloren”.
Dies sind Worte von Papst Benedikt, die er noch als Münchener Erzbischof aussprach.
Die Heimatvertriebenen kamen in ein Land, das brach lag. Aber sie verzagten nicht.
Sie gaben die Hoffnung nie auf.
“Hoffen wider alle Hoffnung” - CONTRA SPEM IN SPEM - so der Wahlspruch des heimatvertriebenen Weihbischofs Adolf Kindermann, auch “Vater der Vertriebenen” genannt: Gründer des Vaterhauses der Vertriebenen in Königstein im Taunus.
Glaube und die Kirche sollten in dieser Zeit eine große Stütze sein.
Hildegard von Bingen sagte es so: “Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott”.
Eine erneute kirchliche Verwurzelung war den Vertriebenen unsagbar wichtig. Sie bot erste Heimat in der neuen Heimat.
Der Sonntag war “Heimat” in der Kirche. Kirchen konnten als Identifikationsorte das Zusammenwachsen der Menschen befördern.
Also haben sie Kapellen und Kirchen gebaut, mit oft nicht mehr als ihren Händen. Laien waren oft unterwegs als “Bettelprediger.”
Die Seelsorger begnügten sich nicht damit, den Glauben zu verkünden. Sie waren “Helfer in der ersten Not”.
Politische Vereinigungen der Vertriebenen waren von den Besatzungsmächten verboten. So gaben Gottesdienste und Wallfahrten einen kirchlichen Freiraum, um sich mit ebenfalls vertriebenen Landsleuten zu treffen.
Unter dem Dach der Kirchen haben sie sich zu Interessenvertretungen zusammenschlossen. Dadurch gelang es, im gesellschaftlichen und politischen Leben Einfluss zu nehmen.
Mit Hilfe der Kirchen konnte so ein wichtiger Schritt zur Integration der Heimatvertriebenen gemacht werden.
Und, liebe donauschwäbische Landsleute, meine Damen und Herren,
es waren die Seelsorger, die vielen Priester, die mit ihren Landsleuten vertrieben worden waren, die schon in den Auffanglagern vom Willen zur Versöhnung predigten.
Ich zitiere aus dem “Gebet der Heimatlosen”.
Dieses Gebet haben die Gründer der Arbeitsstelle Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz schon im Januar 1946 verfasst.
Dort heißt es: “Gedanken der Rache sollen nicht Macht gewinnen über unsere Herzen.”
Vier Jahre später, am 5. August 1950, sollten diese Gedanken des Verzichts auf Rache und Vergeltung auch in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen niedergeschrieben werden.
Im nächsten Monat werden wir in Stuttgart, dem Ort der Unterzeichnung der Charta, mit einer Gedenkfeier an den Tag vor 60 Jahren erinnern.
Die deutschen Heimatvertriebenen haben dieses richtungweisende, von christlichem Glauben getragene Dokument verfasst.
Sie versprachen, “jedes Beginnen mit allen Kräften zu unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können”.
Die Charta der Heimatvertriebenen war eine hohe, ja für jene Zeit einzigartige politische und moralische Leistung. Sie ist auch ein Bekenntnis zu christlichen Grundsätzen.
Ein Dokument, das in seiner Einzigartigkeit europäische Geschichte geschrieben hat. Das dazu beigetragen hat, dass wir heute auf eine sehr lange Zeit Frieden in Europa zurückblicken können.
Welchen Weitblick, welchen Großmut haben die deutschen Heimatvertriebenen mit diesen Worten bewiesen!
Die deutschen Heimatvertriebenen hatten eine Vision von Europa. Eine Vision von einer gemeinsamen Zukunft in Europa, die ihre Wurzeln in der gemeinsamen Geschichte hat.
Heute ist diese frühe Vision der Heimatvertriebenen ein großes Stück Wirklichkeit geworden. Aber wir sind noch nicht am Ende des Weges.
Deutschland und seinen Nachbarn im Herzen Europas kommt im Prozess des Zusammenwachsens Europas eine zentrale Bedeutung zu.
Nehmen wir weiter die Verantwortung an. Setzen wir uns ein für Frieden und Versöhnung im Herzen Europas für ganz Europa!
Für ein Europa, in dem christliche Grundsätze unverzichtbar sind, wenn die Gemeinschaft der Völker sich eine gute und gerechte Ordnung für ihr Zusammenleben geben will.
Meine Damen und Herren,
unsere Gesellschaft war in den letzten zwanzig Jahre großen Umwälzungen ausgesetzt.
Die politischen Verhältnisse in Europa haben sich durch Niedergang des Kommunismus grundlegend geändert.
Welchen Anteil die Kirche an diesen Veränderungen hatte, mag die Aussage des Politikers, den wir mit Perestrojka und Glasnost gleichsetzen, Michail Gorbatschow, erhellen: “Alles was in Osteuropa in den letzten Jahren geschah, wäre ohne die Gegenwart des Papstes nicht möglich gewesen”.
Das war Papst Johannes Paul II. Der Papst aus dem Osten, der den Marxismus als “Schande unseres Jahrhunderts” bezeichnete.
Die epochalen Veränderungen in Osteuropa waren für viele Menschen auch mit der völligen Veränderung der persönlichen Verhältnisse verbunden.
Sie mussten sich in schwieriger, ja oft krisenhafter Situation neu orientieren.
In den letzten Monaten ist der Begriff der “Krise” in vieler Munde.
Man ist fast versucht zu sagen, dass uns heute kaum mehr etwas sicher und verlässlich scheint.
Wir Menschen brauchen deshalb Antworten und suchen Antworten. Wir suchen nach Orientierung, einer Werteordnung.
Viele finden diese in ihrem Glauben, in der Kirche.
Das Motto der heutigen Gelöbniswallfahrt soll uns Orientierung geben: “Haltet auch ihr euch bereit - der Menschensohn kommt”.
Es ist für mich eine Losung der Hoffnung.
Sie soll uns Mut machen, dass wir gemeinsam im christlichen Sinne und mit Hilfe des Glaubens, mit Hilfe Gottes Lösungen für unsere Anliegen finden.
Pfarrer Wendelin Gruber und die Insassen des Lagers Gakowa haben 1946 auf Mariens Hilfe gehofft und auf sie vertraut.
Hilfe und Stärkung auf unserem Weg durch Gottes Wort - das erhoffe ich für uns alle. Darauf sollten wir gemeinsam heute und in der Gemeinschaft unserer Kirche vertrauen.
2010-08-03