Zum 50. Todestag von Stefan Kraft

Der “Vater der Donauschwaben” starb 1959

Häufig entstanden die Familiennamen aus Eigenschaften, die die Umwelt vielen Mitgliedern einer Familie zuschrieb: Das konnte ein Tier sein, mit dem man eine bestimmte Eigenschaft verband, wie Wolf für Stärke oder Fuchs für Schläue, oder aber auch die Personifizierung einer Eigenschaft selbst sein, wie etwa Kraft.
Die Mitglieder der Familie Kraft müssen also schon im Mittelalter diese Eigenschaft in auffälliger Weise verkörpert haben. Dass später in der Zeit, als deutsche Siedler in den mittleren Donauraum zogen, sich auch die Familie Kraft auf den Weg machte, darf nicht verwundern, waren es doch die abenteuerlustigen, die Tüchtigen, die sich etwas zutrauten, die es wagten, ein neues Leben in fremder, unwirtlicher Umgebung auf sich zu nehmen und ganz von vorne anzufangen.
Damit nicht genug: Offenbar in Tschonopel/Batschka mit den Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten nicht ganz zufrieden, wanderte Hans-Georg Kraft 1845 mit Frau und sieben Kindern ins syrmische India aus, eine Besitzung des Grafen Petrus Pejačević, die dank deutscher Zuwanderung wirtschaftlich wieder hochkommen sollte. Dort kaufte sich Hans-Georg Kraft ein kleines serbisches Haus, Wirtschaftsgründe erhielt er von der Grundherrschaft zur Bearbeitung. Dank unermüdlichen Fleißes, rationeller Arbeitsmethoden und außerordentlicher Sparsamkeit gelang der Familie wie den anderen deutschen Familien auch der wirtschaftliche Aufstieg. Zum zweiten Male hatte sich die Dynamik, die in der Sippe Kraft steckt, bewährt, denn auch nach Slawonien oder Syrmien wanderte nur ab, wer sich etwas zutraute und seine Lebensverhältnisse zu verbessern trachtete.
Zwei Generationen später wurden Sebastian Kraft von seiner zweiten Ehefrau fünf Kinder geboren, als ältestes Stefan Kraft am 15. August 1884. Als strebsamer, fleißiger Bauer, der zusätzlich zum eigenen Feldbesitz noch Pachtfelder bearbeitete, war es für Sebastian Kraft selbstverständlich, die Energie auch “nach innen” zu wenden, er erwartete von seinen Söhnen den vollen Einsatz ihrer Arbeitskraft zugunsten des Familienbetriebes. Als dann Pfarrer und Lehrer ihn überzeugen wollten, dass Stefans geistige Fähigkeiten es verlangten, ihn auf eine weiterführende Schule zu schicken, wollte er von einem solchen Ansinnen nichts wissen, zumal er davon überzeugt war, dass der Bauernberuf trotz der schweren Arbeit der schönste und unabhängigste sei. Schließlich kapitulierte er aber doch vor den überzeugenden Argumenten der Dorfintelligenz und wahrscheinlich auch den Wünschen seines Sohnes: Im Jahre 1895 wurde Stefan Schüler des serbischsprachigen Realgymnasiums Semlin und wohnte bei Vetter Anton Kraft. Er erwies sich stets als ein Musterschüler und zeichnete sich durch ein gutes Gedächtnis, Fleiß und Ordnungssinn aus. Sowohl bei seinen Lehrern wie den serbischen, kroatischen und deutschen Mitschülern war er sehr beliebt und verkehrte als Oberstufenschüler bereits mit in Belgrad beschäftigten deutschen und österreichischen Diplomaten, was seinen politischen Horizont sehr erweiterte. Nach einem ungeliebten Studium der Naturwissenschaften in Agram 1904/05 widmete er sich den Rechts- und Staatswissenschaften, ab Wintersemester 1905/06 drei Semester lang in Marburg/Lahn, dann in Wien, wo er – nach Ableistung eines einjährigen Militärdienst 1908/09 – 1911 sein Studium mit der Promotion zum Dr. jur. beendete.

1. Der hoffnungsvolle Nachwuchspolitiker

Was den jungen Stefan Kraft umtrieb, war der Kroatisierungs- und Magyarisierungsprozess, der über den Verlust der Sprache seinen Landsleuten nach und nach die Identität zu rauben drohte. Noch als Oberstufenschüler kam er während der Ferien in Kontakt mit Mitgliedern des “Vereins der schwäbischen Hochschüler aus den Ländern der ungarischen Krone in Wien” (VHU). Dieser bereits 1899 gegründete Verein hielt sich aus der großen Politik heraus, widmete sich der Erhaltung und Pflege des deutschen Kulturgutes und besorgte während der Semesterferien die politische Kleinarbeit in ihren Heimatorten (Veranstaltung nationaler Gedenkfeiern, Organisation von Sammelaktionen, Herausgabe eines Volkskalenders u.a.). Dank der Bekanntschaft mit Gregor Brenner wurde Stefan in diesen Kreis eingeführt, wirkte er seit 1904 an der Herausgabe des “Deutschen Volkskalenders aus den Ländern der ungarischen Krone” mit und nahm am deutschen Volktag und an der Schillerfeier 1905 in Ruma teil.
Seit der Studienzeit in Wien (Sommer 1907), als Stefan Kraft Mitglied und 1911 Vorsitzender des VHU wurde, steigerte sich in diesem Umfeld, zu dem auch Adam Müller-Guttenbrunn und Edmund Steinacker gehörten, sein Einsatz für die nationale Sache seines Volkes. Besonders prägend war für ihn die Erfahrung während seiner Militärzeit, als er miterleben musste, dass akademisch gebildete Deutsche nicht in der Lage waren, Briefe auf deutsch nach Hause zu schreiben. Daher war es für ihn unumgänglich, diesem aus volkspolitischer Sicht unhaltbaren Zustand eine konsequente Tat entgegenzusetzen. So initiierte er die Idee eines “Schwäbischen Schülerwerkes”, also die Vergabe von Stipendien an begabte schwäbische Bauernsöhne, um ihnen den Besuch an einem deutschsprachigen Gymnasium der Siebenbürger Sachsen zu ermöglichen. Gleich nach der Beendigung seines Militärdienstes machte er sich an die umsichtige Verwirklichung dieses Vorhabens.
Die Spenden aus Deutschland (die Verbindungen zu hervorragenden Persönlichkeiten aus seiner Marburger Zeit trugen ihre Früchte), Österreich und den schwäbischen Heimatgebieten verwalteten in einem Fond Vertrauensleute der Ungarländischen Deutschen Volkspartei (UDVP) und des VHU. Die Vorauswahl der Kandidaten besorgte Kraft mit einigen Kommilitonen. Die ersten schwäbischen Schüler (sieben Bauernsöhne aus der Batschka) erhielten 1910 jeweils ein Stipendium von 200 Mark und wurden von Kraft persönlich nach Siebenbürgen gebracht. Ab 1911 betreute der neu gegründete “Deutschungarische Kulturrat” (ein Kreis hervorragender, dem Schicksal der ungarländischen Deutschen eng verbundener Persönlichkeiten) als Hauptaufgabe das “Schwäbische Schülerwerk”. Bis 1917 gelangten insgesamt 60 Schüler, mit den Stipendien des Rats versehen, auf die sächsischen Gymnasien Hermannstadt, Mühlbach, Bistritz, Mediasch und Schäßburg. Man sah sich nicht als ein karitatives Unternehmen an, sondern wollte sich bewusst eine national zuverlässige Intelligenzschicht für eine fruchtbare kulturpolitische Arbeit unter den Donauschwaben heranziehen.
Die letzte große Tat Krafts vor dem Ersten Weltkrieg war die Veranstaltung der zweiten “Karpatendeutschen Tagung” in Ruma im Sommer 1912, ein Treffen aller maßgeblichen deutschnationalen Verbände im Vorkriegsungarn. Von dieser Tagung im Kerngebiet der ungarländischen Schwaben empfingen diese starke Impulse, ihr von der Magyarisierung bedrohtes Deutschtum aktiv zu verteidigen.

2. Der vielseitige Politiker

Nach dem Kriegsdienst 1914-1918, den er als Hauptmann beendete, stellte Kraft seine Fähigkeiten ganz in den Dienst seiner Volksgruppe, für deren gleichberechtigte Behandlung er an vorderster Front im neu entstandenen jugoslawischen Staat kämpfte. Bereits 1919 gründete er in Neusatz die “Deutsche Druckerei- und Verlags-AG”, wo fortan das “Deutsche Volksblatt” und eine Reihe deutschsprachiger Wochen- und Monatsblätter erscheinen konnten. Dr. Kraft war 1920 der Mitbegründer des “Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes”, kurz darauf der landwirtschaftlichen Genossenschaft “Agraria” in Neusatz. Sein Initiationserlebnis als Politiker erfuhr Kraft aber auf einer Versammlung in Futog im Mai 1922. Serbische Politiker wollten die Futoger Deutschen dafür gewinnen, in die neu gegründete Serbisch-Radikale Partei einzutreten. Stefan Kraft hatte die Reden der serbischen Minister aufmerksam und ruhig verfolgt, kaum waren sie aber fertig, bat er auch schon ums Wort. Diese Bitte konnte ihm niemand verwehren, obwohl sie überraschend kam. Mit jugendlichem Elan hielt er eine fulminante Rede, die alles enthielt, was später das Hatzfelder Programm der Partei der Deutschen prägte, also alle nationalen Rechte, wie sie nach der Verfassung den Deutschen zustanden. “Dr. Kraft aber galt von diesem Tage an als unser politischer Führer”, so berichtet sein Mitstreiter Wilhelm Neuner. Für alle Beteiligten war es überwältigend, mit welchem Feuer sich dieser junge Mann spontan zu seinem Volke bekannte. Außerdem verhalf er der “Partei der Deutschen” zu ihrem Durchbruch und wurde 1923, als acht ihrer gewählten Vertreter ins jugoslawische Parlament einzogen, deren Fraktionsvorsitzender. Er war somit an allen kulturellen und politischen Gründungen seiner Volksgruppe beteiligt und kämpfte zäh auf nationaler und internationaler Bühne um die Erhaltung ihrer Minderheitenrechte.
Das wurde besonders notwendig, als während der “Königsdiktatur” in den Jahren 1929-1931 die mühsam erkämpften nationalen Positionen der Deutschen wieder auf dem Spiel standen. Um die politische Vertretung der deutschen Volksgruppe in Jugoslawien zu erhalten, rief er im Januar 1929 eine “Völkerbundsliga der Deutschen in Jugoslawien” ins Leben. Diese Institution bot, vor allem wegen der großen Auslandserfahrungen Krafts und seiner Verbindungen zu zahlreichen europäischen Ligen, die Möglichkeit, über den Völkerbund in Genf Rechte für die Deutschen einzuklagen und dank der Verbindungen zu Deutschland oder Großbritannien Druck auf Jugoslawien auszuüben.
Aber der Innenminister und über ihn die Staatspolizei lehnten die Satzungsgenehmigung der deutschen Liga ab. Kraft und Graßl, dem Vorsitzenden des “Kulturbundes”, war von Anfang an klar, dass nur über internationalen Druck etwas zu erreichen sei. Die behördliche Genehmigung zu einer Liga-Tagung erreichten sie durch den Hinweis, dass die Nicht-Zulassung der jugoslawiendeutschen Delegation über die Kongressleitung publik gemacht würde. Daher wurden am 15. Mai 1929, zwei Tage vor der Tagungseröffnung, die Satzungen genehmigt und die Ligagründung damit anerkannt.
Weiterhin schien der jugoslawische Nationalismus nicht bereit zu sein, seinen nationalen Minderheiten auch nur das geringste Zugeständnis zu machen. Deshalb entschloss sich die deutsche Führung unter Kraft, die Probleme der deutschen Minderheit auf die Tagesordnung des Völkerbundes zu bringen. Im Vorfeld der Septembertagung 1929 in Genf kam es zu einem Treffen zwischen dem deutschen Außenminister Stresemann und Kraft, auf dem der donauschwäbische Verhandlungsführer Stresemann als Befürworter gewann. Stresemann setzte sich dann auch tatsächlich auf einem Diplomatenfrühstück mit seinem französischen Kollegen Louis Loucheur für die jugoslawiendeutsche Sache ein und ließ erkennen, dass er unter den gegebenen Umständen die jugoslawischen Bemühungen um einen nichtständigen Ratssitz im Völkerbund nicht unterstützen könne.
Dieser sanfte Druck ließ den jugoslawischen Außenminister Marinković hinsichtlich der donauschwäbischen Wünsche sofort einlenken und seine Bereitschaft erklären, die deutsche Angelegenheit vor den König und seinen Ministerrat zu bringen.
Wie die Dinge in Jugoslawien 1929 lagen, gab es für die Bewahrung der deutschen Minderheitenrechte nur den Weg, von dritter – stärkerer und international geachteter – Seite Druck auf die jugoslawische Regierung zu machen. Dies war der Völkerbund und das Mittel dazu die Unterstützung des deutschen Außenministers. Sowohl die Gründung der Völkerbundsliga der Deutschen in Jugoslawien wie auch die erreichte Achtung der deutschen Minderheitenrechte gehen auf die geschickte Diplomatie und das kluge Vorgehen von Dr. Kraft zurück. Letztlich fürchtete Jugoslawien stets die öffentliche Anprangerung seiner minderheitenfeindlichen Politik und musste sich das Wohlwollen des Deutschen Reiches erhalten, weil es dessen Unterstützung gegen das faschistische Italien bedurfte. Kraft wiederum gewann die Unterstützung Stresemanns, weil er mit großer Überzeugungskraft und starker Rhetorik die Probleme seiner Volksgruppe darzustellen verstand. Dieses Beispiel macht offenbar, dass Kraft nicht nur die internationale Lage klar überblickte und zu seinem Vorteil zu nutzen wusste, sondern auch sein diplomatisches Geschick, wozu nicht zuletzt die richtige Einschätzung seiner politischen Partner und Gegner gehörte.
In den dreißiger Jahren machte sich Kraft besonders um den Ausbau der “Deutschen Schulstiftung” verdient, gelangte 1932 und 1935 als einziger Deutscher ins Belgrader Parlament. Erst als aus dem “Reich” ein neuer Wind zu wehen begann und die Geschlossenheit der Volksgruppe durch das Auftreten der “Erneuerer” ins Wanken geriet, zog er sich auf Druck Berlins 1939 aus der Kulturbundführung und anderen Ämtern zurück. Nach Errichtung des unabhängigen Staates Kroatien 1941 kehrte er noch einmal als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium für kurze Zeit (bis 1944) auf die politische Bühne zurück.

3. Kraft als “Vater der Donauschwaben”

Das Kriegsende erlebte Dr. Kraft in Österreich, wo er sich sofort wieder um die geflüchteten Landsleute kümmerte. Noch im Jahre 1945 verhinderte er dank einer mutigen Vorsprache im US-Hauptquartier die geplante Auslieferung seiner Landsleute an Jugoslawien. Als Vorsitzender des oberösterreichischen Roten Kreuzes für Flüchtlingsfürsorge richtete er dringliche Schreiben an die argentinische Einwanderungsbehörde, schilderte darin die aussichtslose Lage der Flüchtlinge und pries ihre Tugenden und Talente als Kolonisten. Nur kommunistische Hetzpropaganda aus Österreich und dem Ausland sowie Verleumdungen aus den eigenen Reihen verhinderten den Erfolg. Er schuf Abhilfe, als die österreichischen Schulbehörden sich weigerten, volksdeutsche Kinder zum Unterricht an Volks- und Mittelschulen zuzulassen. Trotz dieses segensreichen Wirkens für seine Landsleute versagte ihm Österreich die Staatsbürgerschaft.
So zog Kraft 1949 nach Stuttgart, wo soeben die Landsmannschaft der Deutschen aus Jugoslawien gegründet worden war. Schon 1950 wurde er zu deren Vorsitzendem gewählt und galt in den folgenden Jahren als die höchst anerkannte Spitzenpersönlichkeit der Donauschwaben. Wie stark seine Autorität ausstrahlte, beweist das Verhalten der 1953 als einzige südostdeutsche Vertreterin in den Bundestag gewählten Annemarie Ackermann. Gleich nach ihrem Amtsantritt traf sie sich mit Stefan Kraft in Stuttgart, um seine politischen Ratschläge einzuholen; sie kannten sich aus gemeinsam verbrachten Tagen in Neusatz. Bereits drei Tage nach dieser ersten Unterredung meldete sich die frisch gewählte Abgeordnete als Mitglied in den Arbeitsgremien für Vertriebene, für Lastenausgleich und Kriegsopfer an. Sie hatte seine Empfehlungen sofort in die Tat umgesetzt. Die sich hier andeutende fruchtbare Zusammenarbeit dauerte bis zum Tode Stefan Kraft am 16. Juni 1959 an.
Bei den gleichen Wahlen zum Bundestag 1953 hätte Stefan Kraft auf einem sicheren Listenplatz für den BHE (Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten) antreten sollen, musste aber aus gesundheitlichen Gründen auf die Kandidatur verzichten. Wie es seine Art war, setzte er sich mit ganzer Kraft für jeden Hilfesuchenden ein, wenn er überzeugt war, dass es um Recht und Gerechtigkeit ging. Und wenn er das tat, ließ er nicht locker, bis sie erledigt war. Ein Herzensanliegen war ihm immer der Einsatz für “seine” Bauern. In ihnen sah er den Garant für die Erhaltung all der Tugenden, die den donauschwäbischen Volksstamm vor anderen Gruppen auszeichneten, also ihrer ureigensten Identität. Um ihnen zu einer gerechten Bewertung ihres von der Partisanenregierung Titos geraubten Besitzes zu verhelfen, versuchte er 1954 in Esslingen einen Bauernbund zu gründen, was damals von Josef Trischler vereitelt wurde. Hartnäckig, wie Kraft war, rief er diesen Bauernbund aber doch noch 1957 in Stuttgart-Bad Cannstatt ins Leben. Allerdings verlief die Grundbesitzbewertung enttäuschend. Um Vermögenswerte ging es auch beim Kampf um die sog. “Innen-Anleihe” der Kroatiendeutschen, als diese mit ihrem Vermögen für Kriegslieferungen für die deutsche Wehrmacht einstanden. Auch das Ergebnis dieser Verhandlungen konnte die Betroffenen nicht befriedigen.
Wie es einem Führungspolitiker ansteht, kämpfte Kraft mutig gegen die kollektive Diskriminierung und Verleumdung der Jugoslawiendeutschen durch die Tito-Regierung in Belgrad. In einem Memorandum aus dem Jahre 1955 zur Besuchsfahrt einer deutschen Bundestagsdelegation nach Belgrad tadelte er das Unternehmen mit scharfen Worten, es bedeute eine Erniedrigung, Demütigung und Entwürdigung der Ehre, des Ansehens und der zweihundert Jahre langen Aufbauarbeit der Jugoslawiendeutschen vor der Weltöffentlichkeit. Mit ähnlichen Worten protestierte er gegen das deutsch-jugoslawische Wirtschaftsabkommen 1956, gegen Einladung und Empfang von Moscha Pijade, des jugoslawischen Parlamentspräsidenten und Miturhebers des Genozids an den Donauschwaben sowie gegen einen Kredit von mehreren hundert Mio. DM an Jugoslawien. Stets fühlte sich Stefan Kraft in der Pflicht und in der Verantwortung seiner Gruppe gegenüber.
Stefan Kraft war ein Vollblutpolitiker, wie ihn die Donauschwaben seit Edmund Steinacker nicht mehr gehabt haben. Was ist ein Vollblutpolitiker? Er setzt sich uneigennützig für Rechte seiner Gruppe ein, hat “Visionen”, für die er in Wort und Tat kämpft, scheut nicht die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern, bewegt sich geschickt auf dem diplomatischen Parkett, kümmert sich vor allem um die “einfachen” Menschen, bleibt sich selbst treu und lässt sich nicht verbiegen. Kein donauschwäbischer Politiker hat die Politik seines Stammes während dreier Epochen des 20. Jahrhundert so mitbestimmt wie er, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg im Alten Ungarn, in der Zwischenkriegszeit in Jugoslawien und nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich und der BR Deutschland. Er war ein temperamentvoller und glänzender Redner, der in geschliffenem Serbokroatisch in der Skuptschina auftrat. Er war ein Gentleman und als solcher auf der internationalen Politikbühne kein Unbekannter. Das Wohl seines Volkes war ihm immer Herzenssache, unbeirrt und mit klarem Konzept verfocht er dessen Rechte. Er war der “Vater der Donauschwaben”.

Ingomar Senz

Literatur:

  • Saria, Balduin: Stephan Kraft und die Gründung der Deutschungarischen Schulstiftung vom Jahre 1911. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter , Folge 4, München 1959, S. 185-189.
  • Donauschwaben-Kalender 1961
  • Senz, Ingomar: Die nationale Bewegung der ungarländischen Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg. München 1977
  • Oberkersch, Valentin: Die Deutschen in Syrmien, Slawonien, Kroatien und Bosnien. München 1989.
  • Wilhelm, Josef: Dr. Stefan Kraft. Stuttgart 2008

2009-11-21