“Meine Mutter würde sich freuen” – Engagierte Diskussion über ungarischen Vertreibungsgedenktag

“Erinnerung und Gegenwart – Der Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen” – zu diesem Thema diskutierten am 11. Februar 2014 im Münchner Haus des Deutschen Ostens (HDO) hochrangige Vertreter aus Politik und Wissenschaft sowie eine Vertreterin der Donauschwaben aus Ungarn. Einhellig wurde die Einführung dieses Gedenktages, der am 19. Januar 2013 erstmals begangen wurde, begrüßt. Meinungsverschiedenheiten traten allerdings zu Tage, als es um die Frage einer ungarischen Mitverantwortung an der Vertreibung ging.

Rund 80 Zuhörer hatten sich zu dieser bemerkenswerten zweieinhalbstündigen Veranstaltung eingefunden, darunter Klaus Loderer, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Brunhilde Reitmeier-Zwick, Bundesvorsitzende der Karpatendeutschen Landsmannschaft Slowakei, und Hermann Schuster, Landesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben in Bayern. Emilia Müller, Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, und Tamas Mydlo, Generalkonsul von Ungarn, sprachen Grußworte, das Ungarische Generalkonsulat fungierte neben dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem HDO als Veranstalter. Moderiert wurde die Diskussion von HDO-Direktor Dr. Andreas Otto Weber. Auf dem Podium saßen Dr. Marta Fata (Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen), Prof. Dr. Konrad Gündisch (Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München), Dr. György Csoti (Abgeordneter des ungarischen Parlaments), Christian Knauer (Landrat des Landkreises Aichach-Friedberg im bayerischen Schwaben, Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Bayern und BdV-Vizepräsident) und Gabriella Scherer (Direktorin des ungarndeutschen des Bildungszentrums in Baja/Batschka – mehr unter: www.ubz.hu).

PD Dr. Andreas Otto Weber, Gabriella Scherer, Christian Knauer, Dr. György Csóti, Prof. Dr. Konrad Gündisch, PD Dr. Márta Fata
Podiumsdiskussion mit (von links) PD Dr. Andreas Otto Weber (HDO-Direktor), Gabriella Scherer (Leiterin des Ungarndeutschen Bildungszentrums Baja/Ungarn), Christian Knauer (BdV-Landesvorsitzender), Dr. György Csóti (Abgeordneter des ungarischen Parlaments), Prof. Dr. Konrad Gündisch (Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München) und PD Dr. Márta Fata (Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen) - Foto: Walter Föllmer

Anlass dieser Podiumsdiskussion war der im Dezember 2012 einstimmig vom ungarischen Parlament beschlossene Gedenktag für die aus Ungarn vertriebenen Deutschen. Gewählt wurde der 19. Januar, erstmals begangen wurde dieser Erinnerungstag im Jahre 2013. Beim 19. Januar handelt es sich um den Tag im Jahre 1946, an dem der erste Transport mit Ungarndeutschen außer Landes ging. Von Beginn an stieß der Gedenktag beziehungsweise dessen Bewertung allerdings auch auf Kritik seitens der heimatverbliebenen Deutschen. So beklagte Otto Heinek, der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, ein unaufrichtiges Spiel. Eine neue Erinnerungskultur könne nur dann entstehen, wenn “vorbehaltlos, ehrlich und aufrichtig mit der Aufarbeitung der Vergangenheit umgegangen wird”. Zwei Kritikpunkte wurden angeführt. Erstens hatten sich in dem Beschluss die Begriffe “Verschleppung” und “Vertreibung” vermischt. “Verschleppung” ist der angemessene Begriff für die Deportation der Ungarndeutschen in die sowjetischen Zwangsarbeitslager ab Ende Dezember 1944, “Vertreibung” bezeichnet die Geschehnisse, die am 19. Januar 1946 in Wudersch begannen. Zweitens sollte dem Irrglauben entgegen gewirkt werden, der Alliierte Kontrollrat hätte die Vertreibung angeordnet, was auch den Geist des Beschlusses vom Dezember 2012 maßgeblich geprägt hatte. Die Verantwortung der ungarischen Regierung sollte benannt werden und zwar in Form eines Verweises auf die ungarische Regierung als “Initiatorin der kollektiven Bestrafung der Ungarndeutschen”. Kurz vor Weihnachten 2013 wurde dann tatsächlich eine Modifikation durch das ungarische Parlament angenommen. Allerdings wurde dabei nur auf den ersten Kritikpunkt reagiert. Es heißt nun offiziell “Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen”. Eine historische Mitverantwortung seitens der ungarischen Regierung wurde nicht thematisiert.

Andreas Otto Weber, Tamás Mydlo, Dr. György Csóti, Christian Knauer, Emilia Müller, Gabriella Scherer, PD Dr. Márta Fata
von links: PD Dr. Andreas Otto Weber (HDO-Direktor), Tamás Mydlo (Generalkonsul von Ungarn), Dr. György Csóti (Abgeordneter des ungarischen Parlaments), Christian Knauer (BdV-Landesvorsitzender), Emilia Müller (Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration), Gabriella Scherer (Leiterin des Ungarndeutschen Bildungszentrums Baja/Ungarn) und PD Dr. Márta Fata (Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen) - Foto: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration

Diese historische Mitverantwortung wollte in der Münchner Diskussionsrunde auch Dr. György Csoti, Gründungsmitglied des Demokratischen Forums in Ungarn, derzeit Abgeordneter der Regierungspartei FIDESZ und Vorsitzender der deutsch-ungarischen Freundschaftsgruppe im Parlament, nicht sehen, als er bezüglich der “Atmosphäre im Lande” meinte, es wäre bis 1946 kein Thema in Ungarn gewesen, “die Deutschen auszusiedeln”. Bis 1946 hätte es in Ungarn keine antideutsche Stimmung gegeben. Dem widersprach Dr. Marta Fata deutlich, als sie davor warnte, “neue Meistererzählungen” zu erfinden. “Denken Sie an die Zwischenkriegszeit”, verwies Dr. Fata auf wissenschaftliche Untersuchungen von Dr. Krisztian Ungvary und Dr. Agnes Toth, die beide belegen, dass die Vertreibungsfrage nicht erst im Zuge des Zweiten Weltkriegs auftauchte. Empfehlenswert ist hierzu der Aufsatz “Antisemitismus und Deutschfeindlichkeit. Der Zweifrontenkrieg” von Dr. Krisztian Ungvary (erschienen in: Suevia Pannonica. Archiv der Deutschen aus Ungarn. Jahrgang XX (30) 2002. S. 105-119), in welchem der “regierungsamtlich betriebene soziale Nationalismus” (Ungvary) in der Zwischenkriegszeit behandelt wird. Prof. Konrad Gündisch knüpfte an die Ausführungen von Dr. Fata an und forderte eine Erinnerungskultur, die auf Wissenschaft basiert und bei der “man nicht Geschichtsbilder transportiert, die absolut einseitig sind”.

Konrad Gündisch
Prof. Dr. Konrad Gündisch (Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München) - Foto: Haus des Deutschen Ostens

Diese Auseinandersetzung gewährte interessante Einblicke in die ungarische Innenpolitik, soll aber nicht den Blick dafür verstellen, dass Ungarn bezüglich des Gedenkens an die deutschen Opfer der Vertreibung eine Vorreiterrolle einnimmt. Kein anderes Land in Europa hat bislang einen solchen Erinnerungstag etabliert, nicht einmal in der Bundesrepublik Deutschland ist es bislang möglich, einen derartigen nationalen Gedenktag zu etablieren. Deshalb zeigte sich BdV-Vizepräsident Christian Knauer auch begeistert von der ungarischen Initiative, wenn er zur Einführung des Gedenktages sagte: “Das ist epochal, ermutigend und auf europäische Gesinnung ausgerichtet.” Diesem Urteil schloss sich Dr. Fata an: “Für mich ist die Bedeutung dieses Gedenktages ernorm groß. Ich komme aus einer Familie mit ungarischem und schwäbischem Hintergrund, meine Mutter wurde mit 18 Jahren in die Sowjetunion deportiert. Innerhalb der Familie wurde viel darüber gesprochen, aber außerhalb des Hauses war dieses Thema nicht existent. Meine Mutter würde sich freuen, wenn sie noch leben würde, dass es so einen Tag gibt.” Auch Prof. Gündisch meinte, die Einführung des Gedenktages wäre “von großer Bedeutung”. Gabriella Scherer hält es für sehr wichtig, mit den Schülern über die Vertreibung zu sprechen. Deshalb werde der Gedenktag an ihrer Schule entsprechend begangen. Schüler – die meisten haben einen ungarndeutschen Hintergrund – befragen ihre Großeltern, was zuweilen sehr emotional ablaufe. Die treibende Kraft bei jener Parlamentsinitiative, die zu diesem Gedenktag führte, war übrigens Dr. Csoti gewesen, der in seinem Schlusswort das HDO für die hochkarätige Veranstaltung lobte. Schade, dass die deutschen Tageszeitungen sowohl diese Veranstaltung als auch die Feierlichkeiten zum Erinnerungstag in Ungarn komplett ignorierten.

Weitere Beiträge zum ungarischen Vertreibungsgedenktag:

Beiträge über die genannten Wissenschaftler Toth und Ungvary:

2014-02-15